Ingolstadt
Gegenzauber und Geschenke

27.02.2015 | Stand 02.12.2020, 21:36 Uhr

 

Ingolstadt (DK) Achtung: „Toi, toi, toi“ ist kein Glückwunsch. Es ist ein Gegenzauber. Man spuckt dabei über die linke Schulter und manche treten sogar in den Hintern. Um die missgünstigen Geister, die im Theater stets den Erfolg verhindern wollen, zu verwirren, sei dieser Abwehrzauber gedacht, erklärt Donald Berkenhoff, Chef-dramaturg am Stadttheater Ingolstadt. Die richtige Reaktion des Gegenübers wäre, auf Holz zu klopfen, „Unberufen“ zu sagen oder „Wird schon schiefgehen“. Auf keinen Fall darf man sich bedanken – oder über die rechte Schulter spucken. „Typische Anfängerfehler!“, konstatiert Berkenhoff. Und weil man im Theater generell sehr abergläubisch ist, sollte man so einen Fauxpas unbedingt rückgängig machen. Außerdem verboten: nach einer Probe klatschen. „Falls unwissende Besucher klatschen, herrscht allgemein Fassungslosigkeit.“

Ein No-Go: im Theater pfeifen. Das ist aus der Historie heraus zu erklären: Früher wurden Gaslampen zur Beleuchtung verwendet. „Wenn es gepfiffen hat, war eine ausgegangen und das Gas lief unverbrannt raus, was erhöhte Explosionsgefahr bedeutet“, erklärt Berkenhoff. Dass auf der Bühne nicht gegessen werden darf, hängt mit den Krümeln auf der Unterbühne zusammen, die Mäuse und Ratten anziehen würden. „Außerdem liegt ein Fluch auf denen, die heimlich Requisiten fressen“, fügt Berkenhoff an.

Das wohl bekannteste Premierenritual ist das Verteilen von Premierengeschenken. „Ich denke, das hat vor allem damit zu tun, dass man an diesem grässlichen Premierentag abgelenkt ist, wenn man sich Geschenke für die Kollegen überlegt, sie kauft oder sogar selbst bastelt“, erklärt Berkenhoff. Meist haben die kleinen Überraschungen etwas mit dem Stück zu tun. Bei „Lucky Happiness Golden Express“ beispielsweise häuften sich in den Garderoben die Glückskekse.

„Eine Zeit lang hatte ich das nackte Grauen, weil ich immer nur Donald Ducks bekommen habe“, erzählt Donald Berkenhoff. Klar: in Anspielung auf seinen Vornamen. „Ich hatte irgendwann mal das halbe Zimmer voll – in allen Größen und von der Ansichtskarte bis zur Badematte. Irgendwann gab es eine kleine Ausstellung bei mir zu Hause – und dann habe ich alle Donalds ausgerottet.“ Er selbst hat als Premierengeschenk für das Ensemble schon mal einen Cocktail (auf Campari-Basis) erfunden. Sein schrecklichstes Geschenk? Ein lebendiger Goldfisch ihm Plastikbeutel. „Ich hatte in Gerlind Reinshagens Stück ,Himmel und Erde‘ einen Jungen namens Goldie gespielt.“ Berkenhoff verweigerte die Annahme. Ähnlich schlecht kam ein Geschenk an, das Sascha Römisch seinem Kollegen Sebastian Koch machte. Sie spielten – damals beide noch Anfänger – im „Gestiefelten Kater“. Koch stellte eine Figur namens Wurm dar – und Römisch überreichte ihm vor der Premiere einen Sack Mehlwürmer. Er selbst hält sein allererstes Premierengeschenk übrigens in Ehren. Er hatte am Stadttheater Ulm in „Kiebich und Dutz“ von F.K. Waechter gespielt – und war von seiner damaligen Freundin mit einem selbst gestrickten Pulli (mit Krähe) überrascht worden. Bei seiner Frau, Ingrid Cannonier, hält er sich meist an Blumen: „Sie mag das.“

Ein besonderes Gewächs hat Kathrin Lehmann zur Premiere ihres Kindertheaterprojekts „Frau Weiß sieht rot“ bekommen: eine Mini-Version der Bühnenbildblume. „Das ist so etwas wie ein Stimmungsanzeiger“, erzählt sie lachend. Wenn gute Stimmung herrscht, blüht die kleine Blume tiefrot, bei schlechter Stimmung verbirgt sie ihre Blütenpracht unter der weißen Hülle. 23 rote Rosen – das war Teresa Trauths schönstes Geschenk zur Premiere der „Möwe“ in Tübingen. „Von meiner großen Liebe“, erzählt sie. Und fügt hinzu: „Aber die Rosen sind längst verblüht – und die Liebe auch.“ Sie wird beim Geschenkesuchen meist in der Lebensmittelabteilung fündig. „Ich finde es gut, wenn man die Sachen aufessen kann.“

Ausstatterin Luisa Rienmüller hat ihren Kollegen der Produktion „Leise Unglaublich Laut“ auch Süßes geschenkt: Prinzenrolle und Crispy Rolls – „weil das ein bisschen nach Rollo klingt und das Bühnenbild ja aus vielen Rollos bestand“, erklärt sie. Meistens verschenkt sie aber Fotomontagen, die im Zusammenhang mit dem jeweiligen Stück stehen. „Weil es auch so etwas wie ein Abschluss ist, nach dem ganzen Trubel.“

Peter Reisser bekam zur Premiere von „Frankenstein“ einen echten Franken-Stein, also einen kleinen Stein, auf dem eine Franken-Münze klebte. „Die ist aber schon ausgegeben“, meint er. Sein lustigstes Geschenk? „Eine Flasche Febreze von Sascha Römisch! Ich spielte in ,Wir sind noch einmal davongekommen‘ ein Mammut. Und das Fellkostüm hat dermaßen gestunken.“ Die Flasche steht noch immer in seinem Spind.

Das ausgefallenste Premierengeschenk, an das Olaf Danner sich erinnern kam, bekam er anlässlich der „Don Karlos“-Premiere. „Da durfte ich den Pater Domingo mit Glatze und Fatsuit als verschwitzten Lüstling geben, was wohl einigen Statistenmädels so gefallen hat, dass sie mir zur Premiere einen kleinen Gummiphallus schenk-ten, der in Lachsack-Manier auf Knopfdruck ein lustvolles Gestöhne von sich gab.“

Aber es gibt auch ganz praktische Geschenke. Weil Donald Berkenhoff dazu neigt, seine Brille zu verlegen, und das gesamte Ensemble oft die Probebühne absuchen muss, wurden ihm zu einer Premiere mal sieben unterschiedliche Brillen kredenzt. Berkenhoff: „Da habe ich ungefähr ein Jahr gebraucht, bis alle weg waren.“