Ingolstadt
Fliehkräfte des Schicksals

Hiob im Großen Haus in Ingolstadt: Gefeierte Premiere trotz Schwächen im ersten Teil der Inszenierung

18.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:48 Uhr

Familie Singer in der Neuen Welt: Sascha Römisch, Péter Polgár (vorne), Renate Knollmann, Sarah Horak, Maik Rogge (von links) in der Hiob-Inszenierung von Jochen Schölch am Stadttheater Ingolstadt. Vor allem Sascha Römisch begeistert in der Rolle des Mendel Singer. - Foto: Baltzer

Ingolstadt (DK) Am Ende gibt es Jubel, begeisterte Zuschauer und Standing Ovations, und das völlig verdient. Allerdings konnte man zur Pause der Hiob-Inszenierung von Jochen Schölch keineswegs damit rechnen, dass sie zum Triumph, vor allem für Sascha Römisch, werden sollte. Bis dahin war die Produktion sehr bemüht, was zwei Gründe hat.

Zum einen fehlt der Bühnenfassung von Koen Tachelet das, was Hiob zum vielleicht schönsten Roman Joseph Roths macht: der einfache und doch hohe, an der Sprache der Bibel orientierte Ton, die Poesie, die aus der Schlichtheit kommt. Dazu sind immer wieder Erzählpassagen eingefügt, auf dem Theater meist ein Notbehelf, der nur selten gelingt, auch wenn die beiden Erzähler Ralf Lichtenberg und Pèter Polgàr, die auch die Nebenrollen übernehmen, das gut machen.

Zum anderen hat die fast legendäre Hiob-Inszenierung von Johan Simons an den Münchner Kammerspielen die Messlatte hoch gelegt. Ob gewollt oder nicht: Der große, sich drehende Ring als zentrales Element der Ingolstädter Bühne (Ausstattung Fabian Lüdicke) zitiert das Karussell, das bei Simons im Mittelpunkt stand.

Das Rad des Lebens als Sinnbild für das Schicksal Mendel Singers und seiner Familie ist dabei natürlich gut gewählt. Es dreht sich und dreht sich, und die Fliehkräfte des Schicksals schleudern die Singers hinaus in die Welt, in das Unglück und den Tod. Die Geschichte dieses einfachen, gottesfürchtigen, "alltäglichen" Juden, der als armer Lehrer in einem russischen Stetl lebt, ist im Grunde ebenfalls einfach. Seine Frau Deborah und er wollen ihre Kinder retten, verlieren sie gerade deswegen, und laden dabei große Schuld auf sich. Ihr Sohn Jonas geht zu den Soldaten, sein Bruder Schermajah desertiert dagegen und landet in Amerika. Als die Tochter Miriam sich mit Kosaken in den Feldern herumtreibt - für den gläubigen Juden Mendel Singer ein Grauen -, gehen sie nach New York, wo aus Schermajah der erfolgreiche Geschäftsmann "Sam" geworden ist. Zurück lassen sie den Jüngsten, Menuchim, einen schwachsinnigen Epileptiker, obwohl ein Rabbi Deborah gewarnt hatte, ihn zu verlassen.

Bis dahin leidet die Inszenierung mitunter unter einer diffusen Ziellosigkeit und Beliebigkeit, scheint in ihrem Kern leer wie die große Drehbühne. Das ändert sich mit der Ankunft in den USA, auch weil die Handlung nun eine moralische, soziale und religiöse Fallhöhe bekommt, weil zwischen der Figur Mendels und dem Leben in der Neuen Welt wie auch zwischen ihm und Gott Räume entstehen, die Sascha Römisch mit seinem Spiel grandios füllt.

In den USA wird Mendel nun vollends von Gott gestraft, wie er glaubt. Sam fällt im Ersten Weltkrieg, Jonas ist auf russischer Seite verschollen, Deborah stirbt, und Miriam landet wahnsinnig im Irrenhaus. Fremd tappt Singer durch diese Welt, immer noch in seinem abgetragenen Kaftan, während Deborah und Miriam längst in pastellfarbigen Kostümen um ihn herumspringen. Mendel bleibt der russische Jude, der sein Stetl Zuchnow als innere Heimat mit sich herumschleppt. Er will sich nicht integrieren, wenn das heißt, alle Erinnerungen, alle Traditionen, jede kulturelle Prägung aufzugeben. Die Zuschauer sehen ihn nun mitten in der Millionenstadt ganz allein, das Rad des Schicksals dreht sich um ihn mit Sam als Leiche auf einem europäischen Schlachtfeld, Miriam debil und reglos dasitzend und Deborah hingeworfen wie eine Tote in einer Gasse.

An diesem Punkt bricht Mendel mit Gott, er "verbrennt" ihn wie seine Gebetsutensilien, er verflucht ihn, und Sascha Römisch zeigt diese Wandlung bewundernswert. Zuvor schien er für einen kleinen Juden fast zu stattlich, stark und aufrecht wie dessen Glaube, genauso übrigens wie Renate Knollmann zu jugendlich und schön ist für eine Frau, deren Schoß "vertrocknet und unfruchtbar" geworden ist und die im Roman "wie ein breites, gewaltiges und bewegliches Gebirge" durch das Zimmer kriecht. Aber solche vermeintlichen Widersprüche bieten auch Möglichkeiten, die die Schauspieler nutzen.

Denn Satz um Satz, Minute um Minute altert nun dieser Mendel Singer vor den Augen der Zuschauer, wird ein gekrümmter, zerzauster, innerlich und äußerlich verwüsteter Greis, der alles verloren hat, was er im Leben hatte, einschließlich seines Glaubens. Sein Glaube war das, was ihn ausmachte, als er ihn verliert, verliert er sich selbst.

Es gehört zu den kleinen Wundern des Romans und auch dieser Inszenierung, dass das Ende nicht kitschig ist, ein Happy End, das doch keines ist. Denn da steht nun Enrico Spohn als Menuchim. Den hat er als kranken "Idioten" lallend und mit puppenhaft schlenkrigen Gliedern als nur menschenähnliches Bündel gezeigt, nun steht er aufrecht und gepflegt als erfolgreicher Komponist da, und er, der nur "Mama" stammeln konnte, erzählt dem wiedergefundenen Vater in wohlgesetzten Worten die Geschichte seiner Rettung und nimmt ihn mit in sein Hotel.

Mit wirren Augen und zerzausten Haaren starrt dieser alte Mann am Schluss ganz oben in einem Wolkenkratzer, nah an Gott, in die New Yorker Nacht und, wie es im Roman heißt, "er ruhte aus von der Schwere des Glücks und der Größe der Wunder". Und längst hat es die Inszenierung da geschafft, dass der Zuschauer versteht und empfindet, was das bedeutet, und das Leben des Mendel Singer hat ihn auf dem Theater genauso berührt wie im Roman.

Aufführungen am 24. und 25. Februar sowie mehrere Termine im März und April. Kartentelefon: (08 41) 30 54 72 00. Weitere Informationen unter www.theater.ingolstadt.de" class="more"%>.