Ingolstadt
Die ganze Welt ist eine Bühne

08.12.2013 | Stand 02.12.2020, 23:20 Uhr

Spektakel der Maskeraden und Leidenschaften: Rosalinde (Denise Matthey, rechts) nennt sich im Wald Ganymed, ihre Cousine Celia (Patricia Coridun) tritt als Schäferin Aliena auf. - Foto: Klenk

Ingolstadt (DK) Vier Männer im Karnickel-Kostüm. Es gibt Bier. Und ein Klavier. Die Stimmung ist ausgelassen. Und die enthemmten Riesen-Nager drängeln durch die erste Reihe. Junggesellenabschied! Wir befinden uns im fünften Akt.

In der nächsten Szene werden alle vier gleich vor dem Traualtar stehen: Orlando bekommt endlich seine Rosalinde, in die er sich schon im ersten Akt unsterblich verliebt hat, sein geläuterter Bruder Oliver hat in so einer Liebe-auf-den-ersten-Blick-Geschichte Rosalindes Cousine Celia erobert, der närrische Probstein freite erfolgreich die Kuhmagd Käte und Schäfer Silvius ertrotzte sich die Hand von Schäferin Phoebe. Wenn der Vorhang sich dann zur großen Gala-Hochzeit hebt, wird ein Bote verkünden, dass sich auch der Rest des Problems erledigt hat: Der gefürchtete Usurpator Herzog Frederick hat sich bekehren lassen und abgedankt und das Reich seinem rechtmäßigen Besitzer, seinem älteren Bruder, zurückerstattet. Der muss nun nicht mehr im Wald von Arden ein Outlaw-Leben führen, sondern kann zurückkehren in die Zivilisation. In eine neue Ordnung. Mit einer anderen Art von Uniform. Und so feiern sie ein letztes großes rauschendes Fest in ihrer „Republic of Happiness“. Ende gut, alles gut – oder?

„Wie es euch gefällt“ hat William Shakespeare seine Verlieb-und-Verwirr-Komödie genannt. Ein programmatischer Titel. Um 1600, als er das Stück schrieb, befand sich England in einer Zeit des Umbruchs: Bevölkerungsexplosion nach der Pest, Inflation, Missernten, die ungeklärte Nachfolgefrage der kränkelnden Königin. Das Publikum erwartete eine Art elisabethanisches Hollywood. Einen Blockbuster um Liebe und Macht, Bruderzwist und Geschlechterkrieg, Wahrheit und Wahnsinn, erotisches Chaos und göttliche Ordnung. Dabei griff Shakespeare tief in die Theaterzauberkiste, spielte mit gängigen Konventionen und Klischees und löste alles in einem strahlenden Happy End auf. Donald Berkenhoff hat „Wie es euch gefällt“ im Großen Haus des Stadttheaters Ingolstadt in Szene gesetzt. Die Premiere am Samstagabend wurde nach drei Stunden begeistert gefeiert.

Mit einem Staatsstreich hat Herzog Frederick seinen älteren Bruder verjagt und ein Schreckensregime installiert. Regisseur Berkenhoff macht aus ihm einen perfiden Generalissimo in Operetten-Uniform und seinen Hof zu einer Trutzburg aus Protz, Marmor und Türen-klapp-Kabinett. Der Bruder floh mit Vertrauten ins Exil in den Ardenner Wald – und gründete eine Art bukolische Hippie-Kommune, die sich den Tag mit Nichtstun vertreibt. Dann landen weitere „Opfer“ des Herzogs im Wald: Rosalinde wird wie ihr Vater verbannt, sie hat Celia und den Narren Probstein im Schlepptau. Orlando wird von seinem Bruder gejagt und flieht ebenfalls hierher. In diesem machtpolitischen Freiraum beginnt nun das verwechslungsreiche Liebesspiel, denn manche spielen unter fremdem Namen, manche unter falschem Geschlecht, wieder andere aus Begierde und manche allein um der Narretei willen. Jeder schaut zu und kommentiert, man reißt Witze und gibt Ratschläge, man leidet und sehnt sich, pflückt Gedichte von den Bäumen und philosophiert zwischen Schafmist und Mückenplage.

Fabian Lüdicke hat diesen Ardenner Wald ersonnen. Und er ist einfach phänomenal. Lüdicke hat sein Faible für aufsehenerregende Bühnenbilder in Ingolstadt schon im „Fest des Lammes“ oder bei „Alice“ unter Beweis gestellt. Den Wald von Arden bevölkert er mit knallfarbig leuchtenden Iglu-Zelten, die als Flower-Power-Träume bis unter die Decke hängen. Kostümbildnerin Andrea Fisser hat die Bewohner in fantastische Stoffe gehüllt. Hippies wie aus dem Bilderbuch – zwischen Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band und Milos Formans „Hair“-Romantik.

Auch Regisseur Donald Berkenhoff lässt singen. Er nutzt die Musik als weitere Kommentierungsebene, wie sich bei ihm auch viel mehr Narren zu tummeln scheinen, als Shakespeare das eigentlich vorsieht. Das Spiel ist sein Thema. Das Theater. Die Illusion. Die Utopie. Im Möglichkeitsraum des Waldes lässt er alle Eventualitäten der Glücksverheißung durchexerzieren. „Wie es euch gefällt“ lebt vom Verwirrspiel, vom Identitätswechsel. Hier wird alles gespiegelt, hat alles einen doppelten Boden, ist nichts so, wie es scheint. Hier sieht sich Höfling Oliver (Richard Putzinger) auch mal gern als Richard III. Und im einfachen Schäferzelt von Herzogstochter Celia hängt mindestens ein Kronleuchter.

Donald Berkenhoffs Inszenierung ist sehr unterhaltsam. Sie ist komisch, poetisch, subtil, lebt von wunderbaren Bildern und herrlicher Musik (Tobias Hofmann und seine exzellente Band). Es gibt theatrale Höhepunkte wie Jaques berühmten „All the world’s a stage“-Monolog, den Jörn Kolpe als melancholischer Philosoph wunderbar unpathetisch spielt, das vergeblich-dümmliche Werben des Schäfers Silvius (die Entdeckung des Abends: Nils Buchholz) um Victoria Voss’ hartherzige Phoebe, Jan Gebauers hochkomischer Imperator-Auf-tritt, Stefan Leonhardsbergers kesser Hippie-Amiens oder der kunstvolle Wortklauber-Disput zwischen Anjo Czernichs Narr Probstein und Peter Greifs Schäfer Corin. Geradezu anrührend ist Karlheinz Habelt als Diener Adam, der schließlich durch den Wald irrlichtert.

Aber es gibt bisweilen auch ein Zuviel. Gerade der Anfang am Hof des Herzogs gibt sich – trotz des intendierten Gegensatzes zur Leichtigkeit des Waldlebens – zu wuchtig, zu laut, da bleibt die Komik einfach nur schwerfällig.

Dabei besticht Berkenhoffs fast 20-köpfiges Ensemble durch Spiellaune, Witz, Kraft und Energie. Denise Matthey etwa schlägt sich in Shakespeares wohl spannendster Frauenfigur fabelhaft: eine Frau, die einen Mann spielt, der eine Frau spielt. Mit ramponiertem Zylinder, Schnauzer und Knobelbechern hält sie zart und verwegen die Geschicke aller in der Hand. Ihren Epilog hat Berkenhoff klug gestrichen. Nicht noch mehr Verwirrung. Das Happy End mag genügen. Bei ihm ist es vordergründig eins mit Musik, Sekt und Flitterkram. Eben eins „Wie es euch gefällt“. Allein: Den Zweifel hört man doch. Großer Applaus.