Ingolstadt
Die Welt ist aus den Fugen

Aischylos' Tragödie "Die Perser" hat einen historischen Hintergrund Hansgünther Heyme inszeniert sie in Ingolstadt

28.04.2016 | Stand 02.12.2020, 19:53 Uhr

Anlässlich seines 80. Geburtstags verfolgt dieses Buch das vielfältige Schaffen Hansgünther Heymes. - Foto: Theater der Zeit

Ingolstadt (DK) 480 v. Chr. verloren die Perser in der Schlacht bei Salamis gegen die ihnen zahlenmäßig weit unterlegenen Griechen. Einer der Kämpfer, die auf einem der griechischen Kriegsschiffe an der Seeschlacht beteiligt waren, war Aischylos (525-456 v. Chr.). Acht Jahre später schrieb er seine Tragödie "Die Perser", die heute als das älteste erhaltene Drama der Weltliteratur gilt. Ein Grieche spricht zu Griechen, als wäre er ein Perser und stellt nicht den Sieg, sondern die Katastrophe der Niederlage dar. "Aischylos hat den Athenern in einer sehr zur Diktatur hin drängenden demokratischen Auflösung diesen persischen Untergang als Menetekel vorgestellt. Nach dem Motto: Wenn ihr so werdet, wenn die Demokratie schwindet, dann ist das euer Ende. Die Athener sollten sich wiederfinden in diesen Persern", sagt Hansgünther Heyme, der "Die Perser", "das erste Antikriegsstück überhaupt", in Ingolstadt auf die Bühne bringt. Morgen, Samstag, ist Premiere im Großen Haus des Stadttheaters.

"Es ist vor allem ein Stück, das vor der ungeheuerlichen Brutalität und Dummheit von Alleinherrschaften warnt. Eben vor einem staatlichen Gefüge ohne Demokratie. Und natürlich muss man dieses Stück heute lesen im Angesicht der aktuellen politischen Situation im Nahen Osten. Es ist ja dieselbe Welt, die heute gänzlich aus den Fugen ist."

Hansgünther Heyme ist ein Urgestein des deutschen Theaters. Er zählt zu den Pionieren des deutschsprachigen Regietheaters. Und trotz seiner 80 Jahre strotzt er vor kreativer Tatkraft. Heyme verstehe Theater als "aufklärerische Anstalt", als "Ort, an dem gezündelt werden muss, um das Denken zu verändern" - so hat man über ihn geschrieben. Ist das so? Heyme nickt. Auch deshalb macht er mit 80 noch Theater, weil nicht genug gezündelt wird. "Theater ist zwangsläufig politisch", sagt er auch. "Wenn es unpolitisch ist, dann ist es Kunstgewerbe und hat mit Theater nicht viel zu tun. Theater ist politisch, aber von polis abgeleitet - altgriechisch ,Stadt €˜, €šStaat €˜. Es geht um unsere Stadt, um unseren Staat." Um einen künstlerischen Kommentar zur Wirklichkeit von heute.

Heymes Repertoire ist ungeheuer. Er hat die meisten der erhaltenen griechischen Tragödien inszeniert. Auch "Die Perser" hat er schon mal auf die Bühne gebracht. In der Spielzeit 1983/84 zur Eröffnung des von Architekt James Stirling entworfenen Kammertheaters in der Neuen Staatsgalerie Stuttgart. "Aber das Konzept hat mit dem aktuellen nichts zu tun."

Aischylos' Stück "Die Perser" erzählt von der persischen Königin Atossa und dem Chor der Ältesten, die die Nachricht der schrecklichen Niederlage des persischen Heeres erhalten, und vom jungen König Xerxes, dessen Hybris diese Niederlage verursacht hat. Es ist eine einzige handlungsarme Wehklage. 1075 Verse umfassen "Die Perser", 500 davon trägt allein der Chor. Er ist die eigentliche Hauptfigur der Tragödie.

"Eigentlich müsste das Stück ja ,Die Perserinnen €˜ heißen", scherzt Heyme. Denn bei ihm setzt sich der Chor nur aus Frauen zusammen. "In der Antike wie auch bei Shakespeare haben ja nur Männer gespielt. Die Geschlechtlichkeit ist in der Historie überhaupt nicht bedacht worden", erklärt der Regisseur. "Aber wenn man sich mit dem Text auseinandersetzt und von den zurückgelassenen Greisen liest, dann merkt man: In so einer aufgelösten Altersmännlichkeit ist keine Kraft. Während die einen kämpfen, sitzen die Alten zu Hause und diskutieren. Durch Frauen - vaterlose, sohnlose, bruderlose, ehegattenlose, geliebtenlose Frauen - kommt es zu einer ganz andern Brisanz. Und obwohl wir kein Wort geändert haben an den Texten, sind die Frauen ein ganz zentraler Einstieg in dieses Material."

"Material": Diesen Begriff verwendet Heyme oft. Er arbeitet mit den Mitteln des modernen Regietheaters, aber der Text ist ihm sakrosankt. Und die Sprache - gespielt wird die Übertragung von Dietrich Ebener - ist kunstvoll wie eine Partitur. "Die Sprache zwingt zum Denken", sagt Heyme. "Denn diese ungeheuerliche Sprachverblödung um uns herum wird ja immer schlimmer. Umso mehr Gegenwehr braucht es im Theater."

Premiere ist am Samstag, 30. April, um 19.30 Uhr im Großen Haus. Um 19 Uhr gibt es eine Einführung bei den Festsaal-Garderoben. Kartentelefon (08 41) 305 47 200.