Ingolstadt
Die Geschichte eines starken Mädchens

Hannah Biedermann inszeniert in Ingolstadt "Die Rote Zora" Premiere am Samstag

28.02.2017 | Stand 02.12.2020, 18:34 Uhr

Hannah Biedermann. - Foto: Etges

Ingolstadt (DK) Wer "Der Junge mit dem Koffer" sieht, behält neben der anrührenden Geschichte vor allem die kühne Bildästhetik und das wilde theatrale Formenspiel vonHannah Biedermann im Kopf. Gerade arbeitet die Regisseurin an ihrer zweiten Inszenierung für das Junge Theater Ingolstadt. "Die Rote Zora" hat am Samstag in der Werkstatt Premiere und erzählt die Geschichte eines Mädchens, das mit ihrer Bande von Ausgestoßenen ein kleines Küstenstädtchen in Aufruhr versetzt und den vermeintlich guten Bürgern zeigt, was Solidarität bedeutet.

Frau Biedermann, "Die Rote Zora" ist ein Kinderbuch aus dem Jahr 1941. Was hat Sie daran gereizt, es heute auf die Bühne zu bringen?

Hannah Biedermann: Gute Geschichten sind ja in einer gewissen Weise zeitlos. Oder umgekehrt gesagt, leider sind die Themen immer noch aktuell: Für was für ein Leben entscheiden wir uns in einer durch und durch kapitalistischen Welt? Gibt es Alternativen oder doch kein richtiges Leben im falschen? Abgesehen davon ist "Die Rote Zora" eine leidenschaftliche Abenteuergeschichte eines starken Mädchens. Auch das findet man selten in der Kinder- und Jugendliteratur.

 

Was mögen Sie an der Figur der "Roten Zora"?

Biedermann: Erst einmal ganz platt: dass sie ein Mädchen ist. Ich finde es wichtig, dass Kinder heute immer wieder Rollenentwürfe jenseits klassischer Geschlechterrollen gezeigt bekommen. Das Tolle an Zora ist aber, dass sie einerseits zwar die starke Anführerin ist, aber dies selten beweisen muss. Weder dadurch, etwas besser zu machen als die anderen (was in unserer heutigen Welt bei Frauen in Führungspositionen ja häufig ihre einzige Legitimation ist), noch durch Gewalt oder Unterdrückung. Die Rote Zora ist einfach, wer sie ist. Und das reicht.

 

Sie haben selbst die Bühnenfassung erstellt. Was war dabei die größte Herausforderung?

Biedermann: Das Buch ist über 400 Seiten lang. Daraus eine gute Stunde Theater zu machen ist schwer. Genauso, wie die vielen Figuren mit nur vier Schauspielern darzustellen. Da muss man sich von vielem trennen. Aber die Chance, die sich bei so einem Versuch bietet, ist, dass die Geschichte bestenfalls zwar nicht überladen ist, aber dennoch komplex. Viele Theaterstücke für Kinder und Jugendliche lassen sich schnell auf ein Thema runterbrechen und sind in ihrer Dramaturgie durchschaubar. Ich hoffe mit der "Roten Zora" ist mir eine Theaterfassung gelungen, die klare inhaltliche Schwerpunkte setzt, aber die Geschichte und damit die Welt auch nicht einfacher macht, als sie ist.

 

Sie haben mit "pulk fiktion" eine eigene Kinder- und Jugendtheatergruppe gegründet, die genreübergreifend und interdisziplinär arbeitet. Erklären Sie kurz: Was machen Sie anders als das "normale" Theater? Und: Wird man das auch bei der "Roten Zora" sehen?

Biedermann: Mit "pulk fiktion" suche in nach zeitgenössischen Formen jenseits klassischer Narrative. Das heißt, wir entwickeln die Stücke zu einem Thema oft selbst. Heraus kommen Collagen, die die Vielfältigkeit und Komplexität der Themen nicht verschweigen und multiperspektivisch sind. Dabei geht es uns immer um eine sehr offene und transparente Spielform. "Die Rote Zora" ist erst mal eine klassische Geschichte - die aber genau von dieser Veränderbarkeit und in Fragestellung des bestehenden Systems erzählt. Diese Geschichte haben wir von ihren Orten und Figuren nicht aktualisiert, es ist die Spielweise, die sie heutig macht.

 

Die Produktion ist ab zehn Jahren. Warum gibt es für diese Altersgruppe eigentlich so wenig gute Stücke?

Biedermann: Das frage ich mich auch. Es ist mein Lieblingsalter. Da fangen die Kinder schon an, über die Welt zu reflektieren, aber sind noch unheimlich offen. Vor allem haben sie meistens auch noch Lust auf Theater. Ab 14 Jahren ist das ja leider uncool.

 

Haben Sie eine Lieblingsstelle im Stück? Einen Lieblingssatz?

Biedermann: Da gibt es viele. Viele sehr politische Äußerungen. Aber vielleicht ist es am Ende dieser, wenn Zora sagt: "Ich komme mit. Das genügt." Das ist uneingeschränkte Solidarität, die mich beeindruckt, und nach der wir alle heute wieder dringend suchen sollten.

 

Die Fragen stellte Anja Witzke.

 

"Die Rote Zora" hat am Samstag, 4. März, um 18 Uhr in der Werkstatt des Jungen Theaters Ingolstadt Premiere. Kartentelefon (08 41) 30 54 72 00.

 

 

ZUR PERSON

Hannah Biedermann wurde 1982 in Bonn geboren. Ihre Ausbildung absolvierte sie zunächst an der Schauspielschule "Theater der Keller" in Köln, dann an der Universität Hildesheim. Sie arbeitete als Theaterpädagogin, Schauspielerin, Videokünstlerin und Regisseurin. 2007 gründete sie die Theatergruppe "pulk fiktion". Mit einer ihrer Produktionen, "Papas Arme sind ein Boot", war sie vergangenes Jahr beim Festival "Horizonte" in Ingolstadt zu Gast.