Ingolstadt
Der Traum vom kleinen Glück

Umjubelte Uraufführung im Stadttheater Ingolstadt: "Irgendwo, irgendwann" entführt das Publikum in die 50er- und 60er-Jahre

19.02.2017 | Stand 02.12.2020, 18:37 Uhr

"Irgendwo, irgendwann" fängt eine zarte Liebe an. Der charmante Schlagerabend von Tobias Hofmann und das singende Ensemble wurden vom Publikum gefeiert. - Foto: Klenk

Ingolstadt (DK) Der berührendste Moment ist der, wenn der Held der Geschichte allein auf dem Klappstuhl vor der Bar sitzt, sein Schnapsglas umklammert und so hinreißend tragikomisch, wie es wohl nur Richard Putzinger vermag, ein Heinz-Erhard-Lied singt: "Immer wenn ich traurig bin, trink ich einen Korn." Noch einen. Und noch einen. "Und wenn ich dann noch traurig bin, fang ich an von vorn." Irgendwann hört man nur noch: Und. Korn. Und dann steht er auf, dieser kleine Mann, der in seinen Anzügen zu verschwinden scheint. Die Traurigkeit hat sich in Wut verwandelt. Wut über zerplatzte Träume und ein falsches Leben. Und er zettelt eine Schlägerei an. Die Liebe hat gerade mal bis zur Pause gereicht.

"Irgendwo, irgendwann" hat Tobias Hofmann seinen Liederabend genannt, in dem er nur mittels Schlagern aus den 50er- und 60er-Jahren - also ohne gesprochenen Text, dafür in bunten Bildern - von einer "Liebe in den Wirtschaftswunderjahren" erzählt. Die Uraufführung am Freitagabend im Großen Haus des Stadttheaters Ingolstadt wurde immer wieder mit Szenenapplaus bedacht und am Ende mit großem Applaus gefeiert.

Der Himmel wölbt sich märchenhaft blau und weiß über das kleine namenlose Städtchen. Die Bundesrepublik hat eine neue Regierung, eine neue Verfassung, eine neue Hauptstadt, eine neue Währung. Ein Kriegsversehrter erinnert noch an die dunkle Zeit. Aber es geht aufwärts. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung kommt die Lust am Konsum. Der Wohlstandsbauch wird schick. Das Fernweh wächst. Und in der Bar von Dolores treffen sich alle, um ihre neu gewonnene Freiheit auszuleben oder ihren Träumen nachzuhängen. Und hier beginnt auch die zarte Liebesgeschichte zwischen Egon-Peter und Anneliese, die am Alltag zerbrechen wird.

Ausstatterin Katrin Busching und alle Gewerke des Hauses haben ganze Arbeit geleistet. Im Zentrum Dolores' Bar, rechts ein multifunktionales Häuschen für das (kurze) Eheglück von Egon-Peter und Anneliese, dazu eine Bank unter der Straßenlaterne als Treffpunkt für die Hotter Girls oder die Checker Boys. Und gut zwei Dutzend Schlager, die nicht nur die Liebesgeschichte erzählen ("Ich mache keine Komplimente", "Du hast mir gerade noch zum Glück gefehlt"), sondern auch das Zeitkolorit in vielen schrägen Geschichten widerspiegeln ("Das alte Haus von Rocky Docky", "Tipitipitipso", "Babysitter-Boogie"). Die Haare werden blonder, die Röcke schwingen weiter, die Schuhe werden eleganter, die Hosen länger, die Accessoires mondäner. Singen die Checker Boys zu Beginn noch "Auf meinem Konto steht das Komma zu weit links", sieht man sie bald schon Zigarre rauchend lässig vor der Bar sitzen. Ihr Rat: "Gehn Sie mit der Konjunktur". Dazwischen Bau-Boom beim Wirtschaftswunder-Lied, ein VW-Käfer biegt um die Ecke, man staubsaugt, was das Zeug hält, und irgendwann gibt's auch einen Fernseher mit Zierdeckchen bei Dolores.

Das ist mit Witz und Liebe zum Detail gemacht und großartig musiziert (Tobias Hofmann und seine achtköpfige Band). Und wieder einmal stellt das Ingolstädter Schauspielensemble seine fantastische Sangeskunst unter Beweis: Olivia Wendt als Barbesitzerin Dolores, die das nostalgische Traum-spiel mit einem Handgriff in Gang setzt. Richard Putzinger als unglücklich-schüchterner Kleiner-Mann-was-nun. Den mehrstimmigen Schöngesang von Peter Reisser, Ralf Lichtenberg und Jan Gebauer kennt man schon aus Tobias Hofmanns Vorgänger "Abends, wenn die Lichter glühn". Dazu Renate Knollmann und Manuela Brugger, die im Duett meisterhaft dagegenhalten. Ein Wie-dersehen gibt es mit Antje Rietz aus Berlin, die als ungezähmtes Energiebündel Anneliese glänzt. Und weil es eben Schauspieler sind, die hier agieren, werden die Schlager zu kleinen und großen Dramen und die musikalische Revue zur (Welt-) Geschichte in Geschichten.

Die verrückte Leichtigkeit von "Abends, wenn die Lichter glühen" erreicht der Abend nicht. Was zum einen an den Liedern liegt, die in den 20er- und 30er-Jahren musikalisch sehr viel raffinierter waren als in den 50ern und 60ern. Zum anderen bedarf die große Spielstätte auch der großen Geste. Trotzdem ist "Irgendwo, irgendwann" ein charmanter und höchst unterhaltsamer Abend mit Ohrwurm- und Gute-Laune-Garantie.

 

Termine: 25. und 26. Februar, 11., 12., 23. und 24. März, 7. und 21. April. Kartentelefon (08 41) 30 54 72 00.