Ingolstadt
Der Schönspieler

Paul Lewis mit Werken von Bach, Beethoven und Weber beim Konzertverein Ingolstadt

16.02.2017 | Stand 02.12.2020, 18:38 Uhr

Milde Melodienseligkeit: Paul Lewis in Ingolstadt. - Foto: Weinretter

Ingolstadt (DK) Das wichtigste Gestaltungsmittel des Pianisten ist das rechte Pedal. Es kann die Klänge der angeschlagenen Saiten verschwimmen oder ineinander übergehen lassen. Und der Tritt aufs Pedal öffnet den Flügel gleichsam, macht ihn lauter und strahlender, da alle anderen Saiten - nun nicht mehr durch Filze gedämpft - leise mitvibrieren.

Das Klavierspiel des Pianisten Paul Lewis (44) ist ohne das Pedal undenkbar. Bei seinem Recital für den Konzertverein Ingolstadt im Theaterfestsaal gibt es kaum einen Augenblick, in dem er nicht das Pedal tritt. Und zwar weniger, um Töne alchemistisch miteinander zu vermischen, als vielmehr, um einen vollen Klang zu erzeugen.

So klingt seine Interpretation der B-Dur-Partita von Johann Sebastian Bach durchaus ungewöhnlich. Längst hat man sich daran gewöhnt, dass viele Pianisten heute in Anlehnung an die berühmten Einspielungen der Klavierlegende Glenn Gould, den Konzertflügel wie ein Cembalo wirken lassen, gleichsam Klaviercembalo spielen. Die Töne werden dabei meist im Stakkato oder Portato hervorgebracht, die Durchsichtigkeit des polyfonen Klaviersatzes betont. Diese Pianisten nutzen den modernen Flügel fast so, als hätte er kein Pedal.

Lewis geht einen völlig anderen Weg. Wenn er das "Präludium" der Partita spielt, lässt er die komplizierten Melodien kantabel aufblühen. Er brilliert dabei mit seinem weichen Anschlag, mit dem leichten Wogen der Sechzehntelnoten. Das ist durchaus eindrucksvoll, auch wenn man gelegentlich in den leicht tänzelnden Sätzen - den Menuetten - eine gewisse Prägnanz vermisst und diese Darstellung wenig polyfon wirkt. Und gerade in der "Sarabande" hätte man sich gewünscht, Lewis hätte akkordliche Passagen stärker von fließenden melodischen Teilen auch mit verschiedenen Klangregistern voneinander abgesetzt.

Der schönfärberische Duktus von Lewis' Deutung wird bei Beethovens Es-Dur-Sonate op. 7 leider noch virulenter. Denn der Brite scheint hier die Ecken und Kanten einfach glatt zu polieren. Das ist bei einem Komponisten, der derart antithetisch arbeitet, verhängnisvoll. Das Frühwerk braucht mindestens eine Prise Sturm und Drang, leidenschaftlichen Überschwang, gelegentlich Virtuosität. Derart abgeklärt, mit fast immer sehr ruhigen Tempi und ohne alle maßlosen Ausbrüche, gerät das Werk in die Gefahr der gepflegten Langweile. Und schlimmer noch: Auch die raffinierte Architektonik der Sätze ist nun kaum noch nachzuvollziehen.

Dennoch gelingen Lewis auch fantastische Momente: Mit unglaublichem Ernst und Tiefsinn gestaltet er etwa das "Largo", dem Flügel entlockt er einen Farbenreichtum, als wenn er ein Orchester zur Verfügung hätte, man meint Choräle zu hören, Cellopizzicatos und ruhige Streichereinsätze. Lewis gestaltet das mit expressiver Eindringlichkeit, sodass dieser Satz zum Zentrum der Sonate wird. Kaum weniger faszinierend die Coda des Schlusssatzes, die Lewis mit einer überlangen Fermate einleitet und dann die wilden Töne gleichsam nachdenklich zur Ruhe kommen lässt.

Wohler als im Barock und in der Klassik fühlt Lewis sich offenbar in der Romantik. Für die drei Chopin-Walzer, die er im zweiten Teil des Abends spielt, findet er einen ganz eigenen Ton - jenseits aller oberflächlich perlender Brillanz. Vielmehr lässt er die Tänze wie ferne Erinnerungen aufsteigen, grüblerisch, gedankenverloren, introvertiert. Selbst der so berühmte "Minutenwalzer" klingt bei ihm überhaupt nicht spieluhrenhaft, sondern schwerblütig schwebend.

Der Sinn für Atmosphäre kommt Lewis noch mehr bei der selten gespielten As-Dur-Sonate von Carl Maria von Weber zugute. Hier zeigt der Brite auf einmal erstaunliches Temperament, donnert im Mittelteil des Kopfsatzes einen Triumphmarsch, verliert sich fast beim Ausleuchten der Farbvalenzen. Das riecht manchmal nach großer Operntragödie, nach Wolfsschlucht und Volkslied. Für den freundlichen Beifall bedankte sich Lewis am Ende des Konzerts mit Franz Schuberts "Allegretto in c-Moll" - ganz und gar kein Zugabenreißer, sondern ein milder Ausklang. Genau auf dem zarten Grat balancierend zwischen grübelnder Melancholie und selbstverlorener Melodienseligkeit.