Ingolstadt
Der Monsterbändiger

"Mein Ungetüm" ist die neue mobile Produktion des Jungen Theaters

29.05.2016 | Stand 02.12.2020, 19:45 Uhr

Uraufführung am Ingolstädter Stadttheater: Benjamin Kneser erzählt von Tom, der auf seiner Reise viele Ungetüme zähmt. - Foto: Olah

Ingolstadt (DK) Ein Wischmopp wird zum vielzähnigen Krokomonster. Ein gelber Schwamm lacht hämisch aus knollig-rundem Gesicht. Die silberglänzende Caffettiera gibt umgedreht ein Roboterwesen: der Kessel wird zum Hut, die Kanne zum Kopf, der kantige Ausgießer zur Nase und der Deckel zum Plappermaul.

Das Seil zischt schlangengefährlich. Ein Plastikrohr verliebt sich in zwei verschiedenfarbige Schuhe und kommt aus dem Tritt. Und dann ist da noch das Monster, das größer ist als ein Berg. Mit zerknautschtem E.T.-Papiertütengesicht. Einäugig. Und sehr wütend. "Mein Ungetüm" heißt die neue mobile Produktion des Jungen Theaters Ingolstadt für Kinder ab drei Jahren, die am Samstagnachmittag unter der Regie von Jule Kracht in der Werkstatt ihre Uraufführung feierte.

Sie lehnt sich dabei an an Maurice Sendaks Kinderbuchklassiker "Wo die wilden Kerle wohnen", der sich mit der dunklen Seite von Kindern auseinandersetzt - mit Wut, Wildheit, Rücksichtslosigkeit, mit Angst und Einsamkeit, mit der Lust auf Krawall -, aber auch mit ihrer Fantasie. Denn Kinder erfinden aus den einfachsten Dingen komplizierte Maschinen, schippern über Teppichmeere, kämpfen gegen gruseligste Ungeheuer, dechiffrieren geheimnisvolle Botschaften. Und so ist "Mein Ungetüm" vor allem eine Geschichte über das Geschichtenerzählen.

Im Zentrum steht ein Mann. Vermutlich lebt er auf der Straße. Er trägt einen khakigrünen Parka mit Fellkragen, zwei verschiedenfarbige Socken, die dunklen Locken stecken unter einer schwarzen Strickmütze und die Finger in abgeschnittenen Handschuhen. Seine Habe hat Platz in drei blauen Plastiktüten. Und am Anfang, wenn das Stück beginnt, liegt er unter einem zweirädrigen Handwagen. Verwirrung. "Mama, warum liegt der da" Und: "Wann kommt das Ungetüm"

Eine Hand schiebt sich neben dem Rad hervor - mit einem Playmobilmännchen. Es heißt Tom und wird zum Helden der Geschichte. Denn nachdem Tom mit seiner Mama Streit hatte, hat er so viel Wut im Bauch, dass sie für drei reichen würde. Er will weg. Weit weg. Und Benjamin Kneser, der diesen merkwürdigen grauen Mann spielt, erfindet für Tom und das Publikum eine abenteuerliche Reise, die über ein stürmisches Plastikfolienmeer (das schönste seit Lummerland: Ausstattung Kristel Bergmann) zu einer Insel führt. Einer Insel mit hohen Deckenbergen, Flokati-Schneegipfel und Klobürsten-Palme. Und jeder Menge Ungetüme.

Benjamin Kneser zieht das Publikum sofort in seinen Bann. Wie er mittels Luftballon und Loop-Station Möwenkreischen und Sturmgeräusche erzeugt. Wie er aus Müll Landschaften baut und skurrile Wesen zum Leben erweckt. Wie er sie tänzeln, kichern, pupsen, fauchen lässt. Wie er (scheinbar) zögernd, Neues und Wilderes erfindet und schließlich das Publikum zum Krawallmachen verführt - das ist klug erdacht und hinreißend gemacht.

Regisseurin Jule Kracht und Darsteller Benjamin Kneser schöpfen aus den Erfahrungswelten von Kindern. Sie setzen sich mit ihren Gefühlen auseinander, transformieren Wut in Energie, in Kreativität, fischen Klänge aus dem Nichts, erkunden Möglichkeitsräume, huldigen dem Unfug und der Anarchie, deuten schnöde Alltagsgegenstände um. Alles ist Material für eine Geschichte. Spielerisch wird das Leben erkundet - und der Zorn gebannt. Insofern ist das Stück nicht nur eine Liebeserklärung ans Theater (spielen), sondern auch eine kleine Anleitung zum Monsterbändigen. Großer Jubel!

 

Nächste Vorstellung in der Werkstatt am 5. Juni um 15 Uhr. Karten unter Telefon (08 41) 30 54 72 00.