Ingolstadt
Mit breitem Pinselstrich

Charles Gounods "Roméo et Juliette" bei den Audi-Sommerkonzerten war besonders ein Fest der hinreißenden Sänger

09.07.2017 | Stand 02.12.2020, 17:49 Uhr

Grandiose Stimmen: Jean-François Borras (Roméo, rechts) Irina Lungu (Juliette) und Martin Summer (Frère Laurent) in der halbszenischen Produktion von Charles Gounods Oper "Roméo et Juliette". - Foto: Sauer

Ingolstadt (DK) Vielleicht hat sich Regisseur Sam Brown ja von Hitchcocks "Die Vögel" inspirieren lassen. Jedenfalls flatterten und schwebten die Tiere in fast jeder Szene irgendwann über die Projektionsfläche im Hintergrund und symbolisierten mal Freiheit, dann wieder Angst und düstere Gefahr.

Das wirkte unterhaltsam, einen tieferen Sinn für die romantische Oper "Roméo et Juliette" von Charles Gounod hat der Regieeinfall kaum. Das Werk feierte am Wochenende bei den Audi-Sommerkonzerten mit großem Erfolg Premiere.

Wie bereits im vergangenen Jahr bei Wolfgang Amadeus Mozarts "Idomeneo" sollte auch diesmal wieder eine halbszenische Darstellung der Opernaufführung zusätzliche Attraktivität verleihen. Aber die Möglichkeiten im Festsaal des Stadttheaters sind begrenzt. Und natürlich verbietet es sich, allzu viel Aufwand zu treiben für eine einmalige Aufführung der großen Oper.

So ließ Brown Solisten und Chor über die beiden gegenüberliegenden Treppen und den ersten Rang marschieren, stellte auf diese Weise immer wieder die Familienfehde zwischen den Montagues und den Capulets dar. Und die Darsteller durften ihr schauspielerisches Talent einbringen, Roméo kniete etwa vor Juliette, die sterbenden Charaktere drehen sich einfach vom Publikum weg. Der Aufwand war gering, die Wirkung jedoch groß, die dramatische Geschichte, die sich vor den rechts und links an die Betonwand projizierten Übertiteln abspielte, erschien plastisch und packend. Und, natürlich, auch die Projektionsfläche über dem Orchester wirkte eindrucksvoll. Außer den Vögeln erschienen Mond und Sonne und einmal sogar unzählige wuselige, winzige Personen, die den Sonnenaufgang markierten. Das alles spielte sich in einer stilisierten Landschaft ab - aus groben Pinselstrichen. Ein Effekt so einfach wie die ganze Inszenierung, die auch mit groben Pinselstrichen große Wirkung erzielte. All das ist allerdings Beiwerk. Denn wirklich mitreißend waren die Sänger an diesem Freitagabend. Jede noch so kleine Rolle war vorzüglich besetzt, aber die Darsteller der beiden Titelpartien machten natürlich den größten Eindruck. Besonders überraschend Irina Lungu als Juliette. Die russische Sängerin hatte kurzfristig für die erkrankte Simone Kermes die Partie übernommen - und wurde am Ende wie kein anderer Darsteller vom jubelnden Publikum gefeiert. Lungus überaus beweglicher Sopran, ihre strahlenden, warmen Höhenregister, ihre Ausstrahlung und ihre Schönheit überwältigten die Festivalbesucher. Fast genauso anhaltend bejubelt wurde Jean-FranÃ.ois Borras als Roméo. Wie alle guten Tenöre vermag er die Spitzentöne mit metallischer Wucht in den Saal zu schmettern. Aber das ist nicht alles. Borras liebte auch die Differenzierung, sang immer wieder im Piano, versuchte verschiedene Farben zu erzeugen - und wurde gerade dadurch leider immer wieder auch vom nicht allzu sensibel begleitenden Münchner Rundfunkorchester unter der Leitung von Keri-Lynn Wilson zugedeckt.

Aber es gab weitere hinreißende Darsteller an diesem Abend: etwa die ungeheuer klar und jugendlich singende Mezzosopranistin Valentina Stadler (als Page Stéphano) oder der volltönende Bass Martin Summer (als Frère Laurent) oder Levent Bakirci, der der Partie der Mercutio auch darstellerisch viel Farbe verlieh.

Allein das Orchester hätte Charles Gounods süffige Musik manchmal noch leidenschaftlicher, spannungsgeladener, noch prägnanter angehen können. In der halbszenischen Version ist das große Rundfunkorchester auf der Konzertbühne natürlich noch präsenter als im Opernhaus. So ballten sich gewaltige Klangmassen, Lautstärken, die bereits an Rockkonzerte erinnerten und die es den Sängern gelegentlich nicht leicht machten, dagegen anzukommen. Keri-Lynn Wilson am Dirigentenpult hätte hier gelegentlich sensibler den Klang dämpfen müssen, den Sängern mehr Raum zur Entfaltung gewähren müssen. Vielleicht war hier der künstlerische Pinselstrich gelegentlich ein wenig zu grob.