Ingolstadt
Bauen mit Augenmaß

Die ehemalige Ganghofersche Buchhandlung öffnet sich künftig für Architektur – "Junge Münchner" gestalten den Auftakt

09.11.2014 | Stand 02.12.2020, 22:01 Uhr

Entwurf zum Neubau einer Kirche – das Klappdach gibt es freilich nur am Modell, um in den Innenraum zu schauen - Foto: Eberl

Ingolstadt (DK) „Palast, Hütte, Museum – alles Bauen ist öffentlich.“ Diese Mahnung, die Manfred Sack, bis zu seinem Tod vor wenigen Wochen einer der wichtigsten Architekturkritiker Deutschlands, 2003 bei einem bemerkenswerten Vortrag der Stadt Ingolstadt ins Gewissen schrieb, könnte aktuell auch als Motto über dieser Ausstellung stehen. Denn die sechs Architekturbüros aus der Landeshauptstadt, die als „Junge Münchner“ in der ehemaligen Ganghoferschen Buchhandlung eine Werkschau zeigen, haben es verinnerlicht: Dass Bauen „der Stadt zur Würde“ gereichen müsse, wie Sack fortfuhr, und es deshalb, wie sie selbst im Untertitel formulieren, heute um „angemessenes Bauen“ geht.

Will heißen: Nicht um Eventarchitektur, um wie Ufos gelandete Singularien, sondern um sorgsam in den Ort, seine Atmosphäre und seine Bautradition eingebundene Neuschöpfungen und Bestandserweiterungen.

So denken sie, die jungen Architekten und Architektinnen der sechs Büros, die seit ihren Studienzeiten miteinander in Verbindung stehen, freilich eigenständig arbeiten und nichts weniger wollten als „ein gemeinsames Manifest“. So sagt es der Ingolstädter Chris Neuburger vom Architekturbüro nbundm, der zusammen mit seinem Kollegen Axel Häusler die Schau für das Architekturforum des Kunstvereins ausrichtete – und ihm den passenden Rahmen gab. Auf jenen 450 Quadratmetern der ehemaligen Buchhandlung, die dank der Bereitschaft des Hausherrn DONAUKURIER von nun an zur Verfügung steht, „um die Architektur, die öffentlichste aller Künste, öffentlich auszustellen und zur Diskussion freizugeben“, wie Neuburger sagt.

Mit einfachen Mitteln, einigen Sponsoren und Helfern und viel Arbeitseinsatz hat man dafür ein adäquates Ambiente mit provisorischem Ateliercharakter geschaffen – geschliffener Betonboden, ab einen Meter Höhe neu gestrichene Wände, eine kleine Sitzgruppe mit originalen Eames-Stühlen und ebenfalls ein Meter hohe Präsentationstische aus Seekieferplatten gehen eine reizvolle Verbindung ein zu offenen Lichtschächten, unbearbeiteten Mauersockeln und anderen Leerstands-Insignien; anregend und einladend ist die Atmosphäre, sich ganz in die Werkschau zu vertiefen.

Und das muss man – gerade weil Augenfälliges fehlt. Und doch gleichzeitig viel zu sehen ist. Den Prozess des Bauens will die „Werkschau“ verdeutlichen: Also präsentieren die Büros ihre Arbeiten auf insgesamt 28 Tischen von den ersten Ideenskizzen über Pläne und Materialproben bis hin zu Modellen und Fotos. Schulen, Kirchen, Villen, Wohnkomplexe, Lagerhallen, Baumhäuser – vieles ist realisiert, einiges im Wettbewerbs- oder Planungsstadium, weniges Entwurf geblieben, dafür aber preisgekrönt – natürlich zeigt man explizit Erfolge auf.

Nun gilt es dem Gast, in der Vielzahl der Architekturen, die wie versprochen in gewisser Weise der „Kraft des Normalen“ (Neuburger) huldigen, das Spezifische, Werthafte zu entdecken, seien es Grundrisse, ein Material, die aufregende Weiterentwicklung einer tradierten Form. Dass Ortsbezogenheit und Augenmaß nicht langweilig sein müssen, zeigen genug Entwürfe, das pointierte, zwischen Schiff und Container changierende Betriebsgebäude für einen Lkw-Handel des Büros Palais Mai etwa, eine Grundschule des Büros Hot, das die Schulhöfe in die Höhe lupft und das Erdgeschoss mit einer Laufbahn garniert, oder das allen Ingolstädter bekannte Stadthäuserensemble in der Griesbadgasse der nbundm-Architekten. Hingucker sind zudem die wundersam real erscheinenden Riesenfotografien von Inneneinrichtungsmodellen des Büros Fischer-Multerer und deren „Ten Toasters“- Modelle – Studierende der Dozenten entwarfen an Toastern orientierte Architektur. Oder die aus der Reihe fallenden Tische des Architektinnen-Duos Leuschner von Gaudecker, die lediglich zart pastellige Architekturzeichnungen zeigen und in einem Manifest die Poesie des Bauens beschwören. Ein Manifest (zum Mitnehmen) gibt es auch von Nuyken von Oefele: „Burn after reading“ heißt die Schrift mit „10 Leitsätzen für eine bessere Architektur“, die die Stadt München zur Vergabe des Architektur-Förderpreises 2013 an beide Architekten veröffentlichte. Erfolgreich mit ihrer Position sind alle sechs Büros.

Und andere Positionen? Aus der „Werkschau“ wird eine Reihe werden, „Junge Berliner“ etwa sollen kommen und werden womöglich andere Standpunkte vertreten. Man wünscht diesem neuen Raum für Architektur jedenfalls auch konträre Ansichten, Diskussionen, Streitgespräch gar. Damit das Thema Architektur in Ingolstadt lebendig bleibt.

Ehemalige Ganghofersche Buchhandlung, bis 30. Dezember, Do bis Sa 17 bis 20 Uhr; Werkberichte der einzelnen Büros sind geplant.