Grenzen ausloten

14.12.2007 | Stand 03.12.2020, 6:16 Uhr

Moment der Schwebe: Matthew Barney: Production still aus dem Zyklus "Cremaster 1" (1995). - Foto: Michael James O’Brien

München (DK) Skurril! Ein Mann und eine Frau wohnen einer japanischen Teezeremonie bei, offensichtlich unter Deck. Er, in Fell gewandet, kostet von einer schleimigen Flüssigkeit, bevor er ihr – mit Geisha-Frisur – das Muschelgefäß weiterreicht. Dann sieht man japanische Männer auf einem Walfangschiff, die weiße Masse in eine Gussform pumpen und diese mit ihren scharfen Werkzeugen bearbeiten.

In dem Video übernimmt Matthew Barney selbst die Hauptrolle, während seine Lebensgefährtin, die isländische Musikerin Björk, den weiblichen Part mimt. Die Szenen spielen auf dem Walfangschiff Nisshin Maru, das seit Jahren auf der Roten Liste der Umweltschutzorganisationen steht. Aus der Vaseline als Symbol für Tran entwickelt sich im Verlauf des Videos eine Skulptur. Nichts erstarrt in festen Formen, alles ist im Fluss.

Werden und Vergehen, Verwandlungen und Mutationen – der amerikanische Medienkünstler lotet in seinem Werk Grenzen aus: Wie und warum verändert sich der menschliche Körper? Welche Sprengkraft hat sexuelle Energie? Das Herzstück der Schau ist der komplexe "Cremaster"-Zyklus", der nach dem Musculus cremaster ("Hodenheber") benannt ist. Die fünf surrealen, eindringlichen Filme dieser Serie kann man im Untergeschoss gleichzeitig auf Flachbildschirmen verfolgen. Einen Gegenpol zur Überfülle akustischer und visueller Reize bieten die Zeichnungen, Filmstills und Skulpturen im ruhigen Obergeschoss. Der Entfesselungskünstler Harry Houdini, der Mörder Gary Gilmore, diverse Satyrn, Astronauten und nackte Paare in Gummischürzen entführen in bizarre Laborwelten. Bedrohlich-erotische Fantasien erzählen von Widerstand und Überwindung.

In "Cremaster 1" widmet sich der 1967 in San Francisco geborene Sohn einer Malerin dem fragilen Moment der Schwebe. Im neunteiligen Fotostill "The Goodyear Waltz" (1995) schielen acht Stewardessen durch ovale Fensterchen. Sie scheinen auf die Landung zu hoffen, während die blonde Schönheit Goodyear mit zwei Zeppelinen durch ein Stadion schwebt und alles versucht, um diese in Position zu halten.

Intellektuell, witzig und verspielt präsentiert sich das vielseitige Schaffen des 40-jährigen Barneys. Nachdem sein Werk 1996 schon einmal zusammen mit Arbeiten von Tony Oursler und Jeff Wall in der Sammlung Goetz zu sehen war, dokumentiert diese Einzelausstellung, dass Ingvild Goetz eine der umfassendsten Sammlungen seiner Werke zusammengetragen hat. Ihr Privatmuseum, das die Schweizer Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron 1989 entworfen haben, bietet die perfekt kühl-schlichte Kulisse für Barneys fantastischen Auftritt. Im Leseraum mit seinen weißen Polstern vor schwarzen Wänden kann man die Entstehungsgeschichte des komplizierten "Cremaster"-Zyklus nachlesen. "Es gibt", sagt der Künstler in einem Interview mit Kritiker Brandon Stosuy "die Idee von etwas, das keinen Anfang und kein Ende hat."

 

Matthew Barney in der Sammlung Goetz, Oberföhringer Straße 103, in München. Bis 29. März, Mo bis Fr von 14 bis 18 Uhr und Sa von 11 bis 20 Uhr. Besuch zu den angegebenen Öffnungszeiten nur nach telefonischer Anmeldung unter (089) 95 93 96 90.