Frau
"Ich lebe dafür, erstaunt zu sein"

Nora Gomringer ließ sich durch Zeitungsartikel zu ihrem preisgekrönten Text "Recherche" inspirieren

05.07.2015 | Stand 02.12.2020, 21:06 Uhr

Frau Gomringer, herzlichen Glückwunsch. Sie haben den Härtetest Klagenfurt bestanden. Am undankbaren ersten Lesetag sind Sie von der Jury kritisiert worden, dass Ihr Text den Literaturbetrieb thematisiert. Wie haben Sie das aufgenommen?

Nora Gomringer: Als klug, als verstanden, da liest jemand mit.

 

Ihr Text ist aber mehr. Sie zeigen, wie das Leben eines Menschen durch Gerede und Vorurteile zerstört wird.

Gomringer: Ja. Das ist der Kern. Da ist einer verloren gegangen in unserer Gesellschaft. Und wir müssen uns fragen, warum und wie wir versagt haben. Es ist ein Text des Versagens. Eine kluge und einfühlsame Person wie die Autorin Nora Bossong bewegt sich durch das Haus, in dem der 13-jährige Junge gelebt hat, und versteht langsam, wie der Welt ein 13-jähriges unschuldiges Wesen abhanden kommen kann.

 

Haben Sie Ihre Kollegin Nora Bossong vorher um Erlaubnis gebeten, Protagonistin zu sein?

Gomringer: Natürlich. Ich würde mir niemals anmaßen, den Namen einer Kollegin und auch noch einer so berühmten in einem Text zu verwenden. Sie hat den Text nicht gekannt bis zu dem Moment, als ich ihn vorgelesen habe. Sie wusste aber davon. Es gehört ja zu den Vorgaben des Wettbewerbs, dass ich den Text vorher nach außen weder zeige noch veröffentliche oder vorlege.

 

Der Text ist sehr aktuell, Sie haben auch den Germanwings-Flugzeugabsturz im März darin verarbeitet. Wann ist er entstanden?

Gomringer: Zwei Wochen nach der Leipziger Buchmesse kam mir der Text auf einer Zugreise in den Sinn.

 

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, dies mit dem Sturz des Jungen zu verbinden?

Gomringer: Ich hatte vorher in einem Zeitungsartikel über einen 13-jährigen Jungen gelesen, der aus dem fünften Stock gestürzt war. Ich habe ja eine Sammlung von Zeitungsartikeln, die ich als Quellenmaterial nutze. Das Irritierende war der Wortlaut in der Presse, dass man sich jetzt auf die Suche nach dem Motiv mache. Ich habe mich gefragt: Weiß denn keiner mehr über die 13-Jährigen Bescheid und wie man sie schützen muss?

 

Wird der Text ausgebaut zum Roman?

Gomringer: Dieser Text ist abgeschlossen. Ich werde ihn nicht weiter ausbauen. Ich würde mich aber freuen, wenn er aufgenommen würde in eine Anthologie. Es gibt ja „Die besten Texte von Klagenfurt“.

 

Was werden Sie mit dem Preisgeld von 25 000 Euro machen?

Gomringer: Wie immer: in Kunst investieren. In mir trifft der Preis ja auf einen Menschen, der andere Künstler fördert, der Bilder, Bücher, Kunst kauft en masse.

Das tun Sie mit der Arbeit in der Internationalen Villa Concordia in Bamberg.

Gomringer: Ja, das ist mein Leben. Ich lebe dafür, erstaunt zu sein und in Hingabe zu meinen Kolleginnen und Kollegen. Ich bin eine ganz aktive Zeitgenossin, eine aktive Leserin und Zuhörerin. Ich versuche, sie alle wahrzunehmen, die Literatur, die Bildende Kunst und die Komposition. Ich bin übrigens die einzige Autorin, die in Klagenfurt alle anderen Autorinnen und Autoren um ein Autogramm gebeten und vorher deren Bücher gekauft hat. Deshalb bin ich auch in der Villa Concordia am richtigen Platz. Dahin fließt denn auch das Geld. Das ist doch klar.

 

Die Fragen stellte Barbara Fröhlich.