Ingolstadt
Ein letztes Aufglühen der Leidenschaft

18.03.2011 | Stand 03.12.2020, 3:02 Uhr

Verlöschende Klänge: Der Bratscher Gilad Karni und Georgische Kammerorchester unter der Leitung von Daniel Raiskin spielen Dmitri Schostakowitschs letzte Komposition. - Foto: bsf

Ingolstadt (DK) Zaghaft wird ein Rhythmus gezupft, aber auf den leeren Saiten einer Bratsche nimmt er sich seltsam aus, ohne Bezug, wie verloren im Irgendwann. Ticken so die letzten Momente einer sich verflüchtigenden Zeit? "

Tempus fugit – Amor manet" lautet das Motto dieser Georgier-Saison, und die Bratschensonate von Dmitri Schostakowitsch, sein letztes, auf dem Totenbett beendetes Werk, passt trefflich dazu. Überhaupt setzte das durchwegs sehr ernste Programm das ganze Konzert unter emotionale Hochspannung, die leichtere Muse musste draußen bleiben – zum Vorteil der Musik.

Die "Lobgesänge" von Rodion Shchedrin künden keineswegs von froher Botschaft, die Dissonanzen knirschen mächtig zwischen den folkloristischen Melodien, knochiges Klopfen durchbricht den Streicherklang, und das Ende ist wie splitterndes Glas.

Das Georgische Kammerorchester beleuchtet diese Farben sehr hell und agiert zugleich mit rhythmischer Kraft. Daniel Raiskin am Pult markiert Einsätze und Metren mit präzisen, zackigen Bewegungen, als wolle er seine Energie direkt auf die Musiker überspringen lassen. So gelingen eindringliche Momente packenden Musizierens.

Der lettische Komponist Peteris Vasks zieht gerne romantische Stimmungskurven, und in "Musica appassionata" treibt er sie auf die Spitze. Gegen die teilweise geradezu bohrende Leidenschaft tritt eine serene Ruhe ins Feld, die sich am Ende behaupten kann – ein Drama der Gefühle, das die Georgier mit Hingabe und intensiver Klanggebung auf die Bühne bringen. Die Anfänge derartiger Orchestermusik liegen um 1770, als der Ton leidenschaftlich erregter Opernarien in die Symphonik eindrang.

Mit seiner g-Moll Symphonie KV 183 hat der junge Mozart das aufwühlendste und grimmig kompromissloseste Werk dieser Art geschaffen. Raiskin geht es forsch und packend an, gestützt auf einen mächtigen Streichersound, aber er setzt es so sehr unter einen Dauer-Hochdruck, dass die Differenziertheit etwas leidet. Im Finale kommen die Hörner nicht mehr ganz mit, was dann wirklich etwas unschön klingt. Den Höhepunkt des Konzertes bildete zweifellos die erwähnte Sonate für Viola und Klavier. Dass sie in der seltener zu hörenden Orchesterbearbeitung erklang, gereichte ihr nicht zum Nachteil. Im Gegenteil: Schon die erste Melodie in der ersten Violine war so fein und zerbrechlich ausgesungen, wie es das Klavier nie vermöchte. Das Orchester trat mit dem Klang der Viola in einen schönen Dialog, etwa die Pizzicati aufnehmend, und kleidete die Musik von fahler Düsternis bis zu mildem Leuchten in ein passendes Gewand mit verschiedenen Farben. Gilad Karni, der die Sonate "im Gedächtnis an die Opfer in Japan" spielte, gab sich ganz dem emotionalen Gestus hin, stemmte sich geradezu in sein Instrument und entlockte ihm damit einen ungewöhnlich mächtigen Ton, der bei aller erschütternder Ausdruckskraft immer wohlklingend timbriert blieb. Mit einem fast wie wattiert gedämpften Ton sang sich Karni in den zwielichtigen Schwanengesang des Finales.

Die Akkorde der hier zitierten "Mondscheinsonate" von Beethoven waren freilich in den Streichern kaum wiederzuerkennen, doch im homogeneren Verschmelzen von Solist und Begleitung berührte die Musik den Hörer weit sinnlicher und wärmer als die Klavierfassung. Ein letztes Aufglühen der Leidenschaft, die Liebe zur "klassischen" Musik und das friedvolle Verlöschen im Licht – so hatte die schöpferisch erfüllte Zeit für Schostakowitsch geendet, und die ergreifende Aufführung vermittelte auch den Lebenden eine Ahnung von diesen letzten Dingen.