Ein
Schockierend, ernüchternd

Rachel Moran schreibt ungeschönt über das Leben von Prostituierten

24.11.2015 | Stand 02.12.2020, 20:30 Uhr

Ein Job wie jeder andere. Wenn es um Prostitution geht, ist kaum ein Satz schneller gesagt als dieser. Bordellbesitzer und Freier nutzen ihn regelmäßig, doch auch manch eine Prostituierte äußert sich so. Auch die irische Autorin Rachel Moran sagte den Satz einst zu sich selbst, wie sie in ihrem Bericht „Was vom Menschen übrig bleibt – Die Wahrheit über Prostitution“ bekennt. Moran floh aus der Obdachlosigkeit in das Rotlichtmilieu und lebte dort sieben Jahre, bevor sie sich aus eigener Kraft befreite.

Was sie aufgeschrieben hat, ist zum einen ein Geständnis gegenüber sich selbst, ein Selbst, daran lässt sie keinen Zweifel, das sie im Rotlichtmilieu beinahe vollkommen verloren hätte.

Doch der Bericht geht weit über die vielschichtige Beschreibung ihres Schicksals hinaus. Moran reflektiert, analysiert und erklärt, weshalb die aktuelle Gesetzgebung in vielen europäischen Ländern den Menschenhändlern in die Hände spielt. Der Kern ihres Buches ist eine erschreckende Erkenntnis, die sich in Deutschland kaum jemand zu sagen traut, aus Angst, prüde und gestrig zu wirken: Sex gegen Geld, so Moran, ist mit der Menschenwürde nicht vereinbar. Moran nimmt den Verfechtern legaler Prostitution die Argumente, indem sie erklärt, wie der Kauf von Sex die Selbstachtung der Frauen nachhaltig verletzt. Indem ein Mann Sex kaufe, missbrauche er die Frau, weil sich Körper und Seele nicht einfach trennen lassen. Da, wo vorher Selbstachtung war, entstehe Leere und Scham. Das erkläre, warum betroffene Frauen, einschließlich sie selbst, gern anders reden, als sie fühlen. Sie müssen vergessen, dass sie die Kontrolle über ihren Körper bei der intimsten Handlung überhaupt abgeben und ihn einer fremden Person überlassen. Sie müssen das Gefühl der Ohnmacht vergessen.

Um dem Leser eine Idee davon zu geben, berichtet Moran in einer Passage über ihren ersten Freier. Der Mann fuhr mit ihr an einen Waldrand und verlangte, dass sie an seinem Penis ziehen und gleichzeitig mit einem Stock auf seinen Hintern schlagen solle. Diese Schilderungen sind harte Kost, doch sind sie ein realistisches Fundament, auf dem die Autorin ihre Argumente logisch aufbaut. So lernte Moran auch keine Frau im Rotlichtmilieu kennen, die nicht alkohol- oder drogensüchtig war.

Zeile für Zeile demontiert Moran auch die Vorstellung, Frauen begäben sich frei jeder Zwangslage in das Rotlichtmilieu. Vielmehr sieht Moran bei der Erinnerung an ihre eigenen Erfahrungen Studien bestätigt, die zu dem Thema vorliegen: Missbrauch in der Kindheit, Armut und soziale Ausgrenzung begünstigen den Weg in die Prostitution. Moran ist ein Paradebeispiel, sie wuchs in Irlands Armutsviertel mit einer psychisch kranken Mutter auf. Auch diese Erinnerungen erzählt sie auf nüchterne und dabei ergreifende Weise. Am Ende entsteht eine Ahnung davon, wie ein Mensch dorthin kommen kann, wo Moran sieben Jahre lang war.

Rachel Moran: Was vom Menschen übrig bleibt: Die Wahrheit über Prostitution, Tectum-Verlag, 390 Seiten, 17,95 Euro.