Der Künstler als Egomane

01.03.2010 | Stand 03.12.2020, 4:13 Uhr

Verlassen von ihrem Geliebten flieht Grete (Sally du Randt, mit Kerstin Descher, oben) in die Großstadt und gerät unter die Räder. - Foto: Schaefer

Augsburg (DK) Ein Sensationserfolg 1912: Der begabte junge Komponist Fritz verlässt die Provinz und seine Liebe Grete, um den "fernen Klang", den er ahnt, mit dem er den Durchbruch erzielen will, zu finden.

Grete soll zwangsverheiratet werden, flieht hinterher – und landet in einem venezianischen Edelbordell. Dort strandet auch der immer noch suchende Fritz – und verstößt die zur Femme fatale aufgestiegene Greta. Jahre später wird Fritz’ Oper uraufgeführt. Die zur Straßendirne abgesunkene Grete erlebt den Misserfolg mit – und der Schock bringt Fritz einerseits zur Einsicht in sein Fehlverhalten gegenüber Greta, lässt ihn krank und verzweifelt aber auch den bislang unerhörten "fernen Klang" hören.

Grete soll zwangsverheiratet werden, flieht hinterher – und landet in einem venezianischen Edelbordell. Dort strandet auch der immer noch suchende Fritz – und verstößt die zur Femme fatale aufgestiegene Greta. Jahre später wird Fritz’ Oper uraufgeführt. Die zur Straßendirne abgesunkene Grete erlebt den Misserfolg mit – und der Schock bringt Fritz einerseits zur Einsicht in sein Fehlverhalten gegenüber Greta, lässt ihn krank und verzweifelt aber auch den bislang unerhörten "fernen Klang" hören.

Ein Schlüsselwerk

Franz Schreker wurde mit diesem Werk und den folgenden Opern zum meistgespielten Komponisten der zwanziger Jahre, dann einflussreicher und wirkungsstarker Direktor der Berliner Musikhochschule – und als Jude von den braunen Kulturbarbaren 1932 aus dem Amt gejagt. Die tiefenpsychologischen Abgründe der Figuren, die mal düster romantische, mal opulent schwelgerische und sinnlich glitzernde Nervenmusik des "Fernen Klang": alles "entartet". Heute steht fest: ein Schlüsselwerk und ein spannendes Künstlerdrama.

Für den schwer erkrankten Regisseur der Augsburger Neuproduktion, Nicholas Broadhurst, sprang Renate Ackermann, Professorin an der Münchner Theaterakademie, uneigennützig ein und inszenierte in den fast fertigen Bühnenbildern. Leider überzeugten die ersten beiden Akte in zwei perspektivisch nach hinten laufenden Wänden aus zerknitterter Alufolie nicht recht: Der Realismus und Naturalismus von Gretes Kleinbürgerzuhause; eine mephistophelische Nachbarsverführerin im rot-schwarzen Frack, die durch die Szene geistert und für den "Wald" ein ausgestopftes Reh in den Raum stellt; erst recht dann das Edelbordell mit steif gespielten Verführerinnen in Dessous – all das wirkte bemüht. Erst der dritte Akt mit seiner Theaterbar hinter den Kulissen gelang besser.

Ein kleiner Theatercoup folgte: Den Szenenwechsel überbrückt Schreker mit einem orchestralen "Nachtstück". Da kippte eine Spiegelwand schräg über den Orchestergraben und ließ das Publikum GMD Dirk Kaftan und das sehr gut aufspielende Philharmonische Orchester beobachten, wie sie Schrekers hinreißende Musik letztlich in den von Fritz gesuchten "Klang" umsetzten. So treffend dieser Einfall war – in der Schlussszene lenkte dann Kaftans sichtbar hoch engagiertes Dirigat von der jetzt erstmals spannenden Inszenierung ab: Da bekannte sich der alte Doktor zu seiner Schuld gegenüber Grete und Bariton Stephen Owen machte daraus die fesselndste Musiktheaterszene des Abends. Da steigerte sich der Fritz zum egomanisch auf seine Kunst zentrierten Mann – im dunklen Bühnenraum, im jetzt spiegelverkehrten Raumrahmen seiner Abschiedsszene zu Beginn.

Menschliches Scheitern

Hier traf Regisseurin Ackermann die symbolistische Seite des Werkes: In Fritz’ Innerem durchdringen sich jetzt die Erkenntnis seiner Liebe und die Ahnung des unerhörten "Fernen Klangs". Er hört Gretes Stimme, und sie tritt auch im Kleidchen von damals auf – doch wie durch eine Glaswand von ihr getrennt bleibt Fritz auf seine Komposition fixiert, menschlich gescheitert. Grete geht nach hinten davon – kein Liebestod. Diese Stilebene hätte den ganzen Abend prägen sollen.

Die Augsburger Sänger erfüllten die hohen Anforderungen. Doch blieb hörbar, dass Schreker – wie seine Kollegen Korngold, Zemlinsky oder Schillings – damals für Ensemblestimmen komponieren konnten, die "Wagnerianische Anforderungen" bewältigten. Daran gemessen ließ Mathias Schulz in der oft fordernden hohen Tenorlage des Fritz eben auch Grenzen und Anstrengung hören. Sally du Randt nahm man eher die schlichten Töne der Provinz-Grete ab, für die selbstbewusste Laszivität der Lebewelt-Greta fehlten aber dann Glut und Emphase. So dominierte die Freude an Schrekers faszinierender Musik – und die Energieleistung aller wurde mit ungetrübtem Beifall belohnt.