Bad
Viel mehr als nur gute Musik

Die Festspiele auf Gut Immling im idyllischen Chiemgau ziehen seit 20 Jahren ein immer größeres Publikum an

20.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:55 Uhr

Foto: DK

Bad Endorf (DK) In dem Begriff Festspiele ist auch das Wort Fest enthalten. Festspiele sind etwas Ungewöhnliches, es geht um mehr, als nur ein Konzert oder einen Opernabend zu präsentieren. Es wird etwas zelebriert, es gibt Anlass zum Feiern.

Dass Festspiele etwas Besonderes bieten müssen, das über eine sehr gute künstlerische Darbietung hinausgeht, weiß man offenbar auf Gut Immling ganz genau. 20 Jahre alt werden die Festspiele dort in diesem Jahr, eine Erfolgsgeschichte, die so nie zu erwarten war. 

Auf dem Reiterhof Immling wird schnell klar, was die Besucher an diesem Ort im landschaftlich herrlichen Chiemgau reizt: "Es ist die persönliche Atmosphäre", sagt Cornelia von Kerssenbrock (47), die musikalische Leiterin der Festspiele. Aber es geht um mehr. Der außergewöhnliche Festspielcharakter definiert sich im Spannungsfeld von Verdi-Opern und Streichelzoo, von neugierig blickenden Lamas und Münchner Schickeria, von Provinz-Heimeligkeit und dem internationalen Flair von Künstlern aus 30 Nationen, die auf Gut Immling mitwirken, von Landluft und Atem der Geschichte. Vor allem aber endet der Abend in Immling nicht, wenn der letzte Vorhang gefallen ist. Vielmehr geht es für viele Besucher dann erst richtig los. Sie strömen in das Festspielzelt, bedienen sich am Buffet und lauschen einem improvisierten Konzert der besten Opernsänger des Abends mit berühmten Arien. "So mancher Opernsänger kommt jetzt erst so richtig auf Touren", schwärmt Intendant Ludwig Baumann (67).

Das spezifische Konzept des Festivals hat sich erst über die Jahre herausgebildet. Denn geplant war eigentlich zunächst etwas ganz anderes, erzählt Festivalleiter Baumann, der früher einer der erfolgreichsten Opernbaritons zwischen Pariser Oper und Bayerischer Staatsoper war. 1994 jedoch stürzte der Sänger bei einer Vorstellung von Verdis "Un ballo in maschera" in der Dresdner Semperoper in den Orchestergraben. Der Unfall führte zum vorzeitigen Karriereende. Baumann verlegte sich auf sein Hobby, das Reiten, und baute sich unweit von Bad Endorf eine große Reithalle. "1997 konnte ich wieder auf den Rollstuhl verzichten und begann mit den ganzen Chören der Umgebung zu arbeiten", erzählt er. "Wir wollten am nahe gelegenen Baggersee Mozarts ,Zauberflöte' auf die Seebühne bringen, übrigens mit der weltweit ersten Lasershow." Aber der Dauerregen des Sommers 1997 machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Bis Baumann auf die Idee kam, die Aufführung notdürftig in seiner Reithalle stattfinden zu lassen. Das war die Geburt der Festspiele. Aber: "Eigentlich haben wir nie daran gedacht, Festspiele zu gründen", sagt Baumann. "Wir wollten nur ein wenig Spaß haben."

Fünf Jahre später stieß die Dirigentin der Festspiele, Cornelia von Kerssenbrock, hinzu. Auf Empfehlung von Claus Hipp, dem Babynahrungshersteller, Bühnenbildner und Künstler aus Pfaffenhofen. Sie hat ein Festivalorchester aufgebaut, gleichzeitig gastieren aber auch die Münchner Symphoniker. Inzwischen sind Baumann und von Kerssenbrock ein Ehepaar, "es ging einfach nicht anders", sagt Baumann schmunzelnd.

Viel ist passiert seit dem ersten Festspieljahrgang. Neben den regulären Festspielen gibt es Kinder-Kulturwochen, mehrere Chöre. Kinderopern werden von Kindern für Kinder produziert, teilweise mit Techno-Einlagen und begleitenden Jazzcombos - ein wohl weltweit einmaliges Konzept. Es gibt Galavorstellungen, Liederabende, Klavierabende, Gesangswettbewerbe in Immling und Peking und begleitende regionale Kunstausstellungen. Stolz sind die beiden Festivalleiter über ihr Händchen für Sänger. "Wir haben rund 30 Sänger, die bei uns angefangen haben und inzwischen Weltstars sind", sagt Baumann.

Im Laufe der Jahre kamen die meisten Repertoire-Opern auf die Bühne, fast immer Werke zwischen Barock und Spätromantik - weniger gängiges Repertoire und Werke der Moderne haben dagegen keine Chance. "Wir sind darauf angewiesen, dass viele Leute kommen", sagt Cornelia von Kerssenbrock und macht damit auf die stets schwierigen finanziellen Verhältnisse aufmerksam, unter denen man arbeitet. Der Etat beträgt zwei Millionen Euro, immerhin die Hälfte davon erwirtschaften die Festspiele selbst, ein beachtliches Ergebnis. Der Rest kommt von der Staatsregierung und zahlreichen Sponsoren. Vor allem Verdi ist ein Schwerpunkt auf Gut Immling - so als wollte man eine südländische Alternative zu den nahegelegenen Wagner-Festspielen in Erl institutionalisieren. Acht Opern des Italieners gingen inzwischen über die Bühne. Heuer jedoch, zum Jubiläum, hat sich Cornelia von Kerssenbrock ein ungewöhnliches Werk aufgeladen, die wegen der etwas wirren Handlung eher selten gespielte "Sizilianische Vesper". "Natürlich ist das ein Risiko", sagt sie.

Ein musikalisches Abenteuer also, aber ein kalkulierbares. Denn Regisseur Stefano Simone Pintor wagt wenig, vielleicht zu wenig. Er transferiert den mittelalterlichen Stoff in Verdis Lebenszeit. Bühnenbildner Hipp hat ein Bühnenbild bauen lassen, in dem verfallende antike Bauwerke von Tüchern weitgehend verhüllt sind, eine historisch hintergründige Szenerie, deren Bezug zum Bühnengeschehen allerdings niemals wirklich deutlich wird.

Spannender ist die Idee, Gemälde des Verdi-Freundes Francesco Hayez zu zitieren und zu verfremden. Die Geschichte vom brutalen Aufstand der Sizilianer gegen die französischen Besatzer ist durchaus bewegend erzählt, das eigentliche Drama spielt sich aber musikalisch ab. Dirigentin Cornelia von Kerssenbrock treibt die Münchner Symphoniker zu explosiver Emphase, begleitet trotz des Muts zu plakativen Effekten stets sängerfreundlich. Und die sind teilweise Weltklasse an diesem Abend.

Besonders die beiden dunklen Stimmen des Abends - der Bassbariton Stefano Meo als Monforte und der Bass Alexander Teliga als Procida - verfügen über Stimmen mit enormer Durchschlagskraft und beeindruckender Sensibilität im Piano. Tenor Angelo Fiore (Arrigo) bewältigt die Partie mit den zahlreichen hohen Cs und Ds souverän, Emanuela Torresi als Elena hingegen kommt lediglich in den hohen Lagen mit Leichtigkeit über das Orchester hinweg.

Auch in den Nebenrollen gibt es zahlreiche Entdeckungen zu machen. Dem Motto der diesjährigen Festivalrunde, "Make Opera not War", wird man mit der szenisch etwas farblosen Produktion vielleicht nicht unbedingt gerecht. Aber wen stört das bei solchen Stimmen, bei so viel brodelnder Verdi-Leidenschaft im Orchestergraben - und einem so gewaltigen Sonnenuntergang in der Pause. Gelungene Festspiele sind eben immer noch mehr als nur gute Musik.