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Die Macher der Regenbogenspiele

Heiter um jeden Preis: Mit Farben, Formen und Dackel Waldi gab der Gestalter Otl Aicher Deutschland ein neues Gesicht

31.08.2012 | Stand 03.12.2020, 1:07 Uhr

 

München (DK) Die Gruppe, die Deutschland ein neues Gesicht geben sollte, traf sich zum ersten Mal im Sommer 1967 in einer Fabrikhalle nördlich von München. In Garching-Hochbrück fingen fünf Gestalter um Otl Aicher an, ein Erscheinungsbild für die Olympischen Spiele 1972 zu entwerfen.

 Für das größte Sportereignis der Welt, von dem die Organisatoren bis dahin vor allem eines wussten: dass es „heiter“ werden sollte. Heiter um jeden Preis. Fünf Jahre hatten die Gestalter Zeit. Es begann die Geschichte einer politischen Sehnsucht und eines Mannes, der daran glaubte, dass man sie auch mit Design erfüllen kann.

Rolf Müller steht in seinem Atelier im Münchner Stadtteil Milbertshofen. Wenige hundert Meter vom Olympiapark entfernt. Müller ist ein schlanker Mann mit grauweißem Haar, kurzem Vollbart und rosa Poloshirt. Er war der Stellvertreter Aichers. Der Chef selbst ist vor elf Jahren verstorben. Müller breitet einen Plan aus. Weil man eigentlich nichts mehr erklären muss, aus gestalterischer Sicht. Auf dem Papier in der Größe eines Badehandtuchs ist alles drauf. Die sieben Farben, die Schrifttypen, das Raster für die Piktogramme. „Das war wie ein Baukasten“, sagt Müller. Davon leitete sich alles ab. Genial einfach. Bis heute gilt das Konzept als großer Wurf.

Otl Aicher hatte sich früh um den Olympia-Auftrag bemüht. Damals lehrte er an der Hochschule für Gestaltung in Ulm. In München traf er sich mit dem Organisationschef der Spiele, Willi Daume und mit Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel. Aicher machte Eindruck. Ohne Ausschreibung bekam er den Auftrag. Seine Ideen überzeugten. Aber er passte auch als Person perfekt in den Olympiaplan. Aicher war verheiratet mit Inge Scholl, der Schwester von Sophie und Hans Scholl, die im Dritten Reich wegen ihres Widerstands hingerichtet worden waren. Und Aicher, 1922 geboren, hatte sich als Jungkatholik geweigert, der Hitler-Jugend beizutreten. Willi Daume wollte einen Gegenentwurf zu Hitlers Propagandaspielen in Berlin 1936. Die Welt sollte sehen, dass Deutschland sich gewandelt hatte. Wer war da glaubwürdiger als Otl Aicher?

Die Münchner Kreativwirtschaft protestierte gegen die freihändige Vergabe. Da gründete Daume im Organisationskomitee die Abteilung 11 für Visuelle Gestaltung. Er machte Aicher und seine Leute einfach zu Beamten auf Zeit. Damit zogen die Gestalter auch mit ins Quartier der Organisatoren. Aus fünf Mitarbeitern wurden im Lauf der Zeit mehr als 20.

Rolf Müller sitzt jetzt an seinem Schreibtisch. Einen Teil der Möbel im Atelier hat er noch von damals. „Wir waren für alles zuständig“, sagt er. Plakate, Fahnen, die Gestaltung der Sportstätten, die Kleidung der Helfer – nach und nach entstand ein umfassendes Konzept. Nur das Logo, die Strahlenspirale, kam nicht aus der Abteilung 11. Das entwarf der Solinger Designer Coordt von Mannstein.

Aber die Corporate Identity der Spiele stammte von Aicher und seinem Team. Leicht. Freundlich. Bunt. Die Regenbogenspiele. Rot kam nicht vor. Für Aicher war es die Farbe der Diktatoren. Es gehe ihm nicht nur um einen ästhetischen Rahmen, sondern auch um eine „politische Aussage“, sagte der Chefdesigner.

Und wenn der Chef unterwegs war – was häufig vorkam –, führte Rolf Müller mit seinen anfangs 27 Jahren die Geschäfte. „Wir haben unseren Alltag genossen“, sagt er. Zum Essen ging es in gute Restaurants. Man zog sich zu Klausuren in idyllische oberbayerische Gasthöfe zurück. Nichts sollte der Kreativität im Weg stehen.

So kam es auch zu Waldi. Eigentlich wollten die Designer kein Maskottchen. Sie fanden das irgendwie dämlich. Die Kaufleute waren anderer Meinung. Irgendwas musste man ja verkaufen können. So kam man auf den Dackel – der Deutschen liebstes Haustier. Aicher zeichnete die Skizze, Müller wählte die Farben, Willi Daume steuerte den Namen bei: Waldi. Ein Publikumsliebling war geboren.

Wichtiger als Waldi war Aicher ein praktisches Problem: die Orientierung. Wie sollten Menschen aus verschiedenen Kulturen mit unterschiedlichen Sprachen sich bei den Spielen zurechtfinden? Dafür entwickelten die Designer Piktogramme – einfache schwarz-weiße Symbole mit Strichmännchen, die für die verschiedenen Sportarten standen. Neu war nicht die Idee der Piktogramme an sich. Die hatte es bei Olympia auch schon zuvor gegeben. Aicher und Müller gaben der Sache aber ein exaktes gestalterisches System. Ein genaues Raster, in das die Körper der Männchen sich einfügten.

Als die Spiele begannen, herrschte Begeisterung über das farbenprächtige Design. Die Welt staunte über die Gestalter, die in einer Fabrikhalle in Garching-Hochbrück angefangen hatten. Doch der plötzliche Ruhm habe auch eine negative Seite gehabt, sagt Rolf Müller. Nach den Spielen galten er und Aicher als so teuer, dass viele Unternehmen sich mit Aufträgen erst mal zurückhielten.