Pfaffenhofen
Alles, was recht ist

18-Jähriger fordert Schadensersatz von der Witwe seines Unfallgegners – Dessen Familie ist geschockt

17.06.2013 | Stand 03.12.2020, 0:01 Uhr

Pfaffenhofen (DK) Recht und Gesetz sind mitunter schwer zu verstehen. In der Juristerei zählen vor allem die Buchstaben der Gesetze und nicht etwa Emotionen. Der Laie hat damit oft sein Problem, besonders wenn es um das Schicksal eines nahen Angehörigen geht. Ein solcher Fall ist die Klage eines 18-Jährigen Unfallfahrers, der Schadensersatz für sein demoliertes Motorrad will – von der Witwe des inzwischen verstorbenen Fußgängers, den er erfasst hatte.

Für die Familie des Toten ein unbegreiflicher Vorgang: Wir haben nicht nur den Vater verloren, sondern sollen auch noch für das Tatwerkzeug aufkommen, sagt ein Sohn.

Um die Sache zu verstehen, bedarf es eines Rückblicks. Der damals 75 Jahre alte Alfred K. aus Güntersdorf (Kreis Pfaffenhofen) hatte am 27. Juli 2011 bei Erntearbeiten an der Kreisstraße PAF 21 zwischen Gambach und Langenbruck gegen 13.30 Uhr zu Fuß die Fahrbahn überquert, um einem Erntehelfer eine Flasche Apfelsaftschorle zu bringen. Im selben Moment näherte sich ein 16-jähriger Schüler aus dem Landkreis mit seinem Yamaha-Kleinmotorrad. Obwohl der Jugendliche den Mann auf der übersichtlichen Strecke erkannte und die Möglichkeit gehabt hätte abzubremsen, wollte er zwischen dem Landwirt und dem rechten Straßenrand hindurch, wie der Staatsanwalt ihm später in der Anklage vorwarf.

Der 75-Jährige war jedoch zurückgesprungen, als er das Motorengeräusch hörte, und von dem Zweirad erfasst worden. Der Mann erlitt schwere Verletzungen und teils höchst komplizierte Knochenbrüche. Es folgten monatelange Aufenthalte im Krankenhaus und in der Rehaklinik, verbunden mit Operationen und der Einnahme hoch dosierter Medikamente. „Die ersten drei Wochen war nicht klar, ob er es schafft, weil auch noch eine Lungenentzündung dazu gekommen ist“, erzählt die Familie. Es dauerte über den Jahreswechsel hinaus, bis der Landwirt genesen war. „Unser Vater ist aber nicht mehr derselbe gewesen. Vor dem Unfall hat er keinen Arzt und keinen Apotheker gekannt, er war immer der Antreiber in der Familie. Danach hat ihm jeder Schwung gefehlt“, erzählt einer der drei Söhne.

Im Frühjahr 2012 nahm der 75-Jährige zwar wieder leichte Arbeiten am Hof auf, „aber das war nichts im Vergleich zu früher“. Am 3. Juli, zwei Tage nach seinem 76. Geburtstag, starb der Bauer nach einem Schlaganfall. Ein direkter Zusammenhang mit den Unfallfolgen lässt sich nicht mehr herstellen, doch die Angehörigen sind überzeugt: „Seinen Tod führen wir eins zu eins auf die hohe Belastung durch die Verletzungen, die starken Medikamente und die schweren Operationen zurück.“

Ausgerechnet am Sterbetag von Alfred K. ging die Zivilklage des heute 18-jährigen Unfallfahrers am Amtsgericht Pfaffenhofen ein. Das Strafverfahren gegen ihn wegen fahrlässiger Körperverletzung war trotz seiner nicht unerheblichen Schuld gegen die Auflage, an einem Kurs der Verkehrswacht teilzunehmen, eingestellt worden. Aber im Jugendstrafrecht stehen erzieherische Überlegungen mit gutem Grund vornan. Nun, da der Bauer tot ist, sieht sich seine Witwe mit den Forderungen konfrontiert. Der Schüler möchte Geld für das demolierte Motorrad, rund 2300 Euro. Plus „mindestens 1000 Euro“ Schmerzensgeld obendrein, außerdem Anwaltskosten von knapp 360 Euro.

Der Ingolstädter Jurist Walter Gräf vertritt den Abiturienten. Er findet es „höchst bedauerlich“, dass die Klage genau am Todestag des Landwirts eingegangen ist. „Dass er gestorben ist, haben wir nicht gewusst.“ Für Gräf ist die Forderung aber rechtlich in Ordnung und zudem legitim: „Das Opfer trägt den größeren Teil der Schuld, weil es außerhalb der Ortschaft mitten über die Straße gelaufen ist.“ Der Bauer habe auch noch unvorhersehbar die Gehrichtung gewechselt. Zahlen müsse ja nicht die Familie K., sondern die Versicherung.

Ums Geld geht es den Angehörigen jedoch überhaupt nicht. „Unsere Mutter ist wegen dieser Sache richtig geschockt“, sagt einer der Söhne. Der Vater habe nach seiner Entlassung aus der Klinik selber überlegt, den Jugendlichen auf Schmerzensgeld zu verklagen. „Wir haben ihm zugeredet, er soll es lieber gut sein lassen, weil wir alle froh waren, dass er überhaupt wieder geworden ist. Und wir wollten einem jungen Menschen nicht die Zukunft verbauen. Und dann das!“ Vorigen Freitag sollte die Klage verhandelt werden, doch weil der 18-Jährige verhindert war, wurde der Termin verschoben.

Jetzt entscheidet also das Gericht über die Sache – nicht emotional, wie die Angehörigen, sondern nach Recht und Gesetz. Es strebt „eine gütliche Einigung“ an, wie es die Beteiligten wissen ließ. Ob das freilich klappt, steht auf einem anderen Blatt. Denn für die Familie von Alfred K. ist der Fall klar: „Das ist eine Schuftigkeit sondergleichen. So hat unser Vater solche Dinge genannt.“