Nürnberg
Guckkasten oder Weinberg

28.10.2014 | Stand 02.12.2020, 22:03 Uhr

Nicht mehr zeitgemäß: Das Urteil über die Meistersingerhalle fällt in Nürnberg ziemlich harsch aus. Vor allem die schlechte Akustik nervt die Musiker - Foto: Stadt Nürnberg/Höhn

Nürnberg (DK) Der Vorschlag klingt nach einem Wahlgeschenk: eine neue Konzerthalle für Nürnberg. Der Freistaat wolle die Hälfte der Kosten übernehmen, kündigte Finanzminister Markus Söder (CSU) kürzlich an und drückte gleichzeitig aufs Tempo.

„Wir können nicht ewig darüber reden. Jetzt muss man langsam in eine Phase kommen, wo man was anpackt“, forderte der Finanzminister und spielte auch die beliebte Trumpfkarte der benachteiligten fränkischen Provinz. „Wir wollen halbwegs auf Augenhöhe mit München sein.“ Eine „Mehrzweckhalle mit Orchestergraben“ komme deshalb nicht infrage. „Wir brauchen auch keine Elbphilharmonie“, sagte Söder.

Allerdings wachsen die Bäume in Nürnberg nicht in den Himmel. Die Stadt plant für das Jahr 2015 sogar eine Nettoneuverschuldung von 2,5 Millionen Euro. Fraglich, ob sie die Kraft aufbringt, eine neue Konzerthalle zu bauen und gleichzeitig das marode Opernhaus und die verstaubte Meistersingerhalle zu sanieren. Wie eine Perlenkette reihen sich die Probleme der Spielstätten in Nürnberg aneinander. Die Oper kann nur saniert werden, wenn eine Ausweichspielstätte zur Verfügung steht. Auch die dringend benötigten Arbeiten an der Meistersingerhalle können nur in Angriff genommen werden, wenn eine neue Konzerthalle während der Baumaßnahmen zur Verfügung steht. „Das muss sauber geplant werden, Schritt für Schritt“, mahnt Finanzminister Söder zur Sorgfalt, damit die Perlenkette nicht abreißt.

Abreißen wollten viele Nürnberger am liebsten die Meistersingerhalle. Akustik schlecht, Atmosphäre altmodisch – desavouieren die Kritiker den in die Jahre gekommenen Betonklotz im Luitpoldhain, der 2007 zu allem Überfluss noch unter Denkmalschutz gestellt worden ist. Offiziell hält die Stadt der Meistersingerhalle noch die Treue. Hinter den Kulissen versucht man das Haus aber bereits als Kongresszentrum stärker zu positionieren. Denn nur wenige glauben daran, dass ein neues Konzerthaus der Meistersingerhalle nicht das Wasser abgräbt. Die Nürnberger Symphoniker kündigen bereits an, ihrer langjährigen Spielstätte dann den Rücken kehren zu wollen. „Die Nürnberger Symphoniker würden einen neuen Saal als Hauptspielstätte und damit als neues Zuhause nutzen. In der Meistersingerhalle würden keine Konzerte mehr stattfinden“, sagt Intendant Lucius A. Hemmer klipp und klar und schiebt die Begründung gleichzeitig hinterher: „Die Meistersingerhalle ist aus ästhetischer wie künstlerischer Sicht in die Jahre gekommen.“

Derzeit sucht die Stadt nach einem neuen Leiter der Meistersingerhalle. „Wir brauchen dringend neue Ideen“, sagt eine Mitarbeiterin der städtischen Halle, die 1963 mit den „Meistersingern“ von Richard Wagner als „eine der modernsten, ausgefeiltesten und fortschrittlichsten Konzerthallen Europas“ eröffnet wurde. Heute ruft der Bau mit seinem morbiden Charme eher Erinnerungen an die Endphase des „Palastes der Republik“ hervor. Was nicht heißt, dass man das aus-der-Zeit-gefallene Haus abreißen müsste. Allein schon wegen der zahlreichen Skurrilitäten wie den Kegelbahnen im Keller, die seit Jahren nicht mehr benutzt werden und heute als Kunstdepot dienen.

Um Synergieeffekte zu nutzen, schlägt der Finanzminister übrigens als Standort für die neue Konzerthalle einen Platz in unmittelbarer Nachbarschaft zur Meistersingerhalle vor. Vor den Landtagswahlen brachte der liberale Kulturminister Wolfgang Heubisch die Innenstadt als Standort ins Gespräch. Schwieriger als die Standortsuche dürfte sich die Frage nach der richtigen Bühnenform aus heutiger Sicht lösen lassen. Die Oper favorisiert eine Guckkastenbühne und damit eine Schuhschachtelbauweise. Die Symphoniker befürworten eine Weinbergbühne. Für eine reine Konzertnutzung seien kreisförmig um die Bühne ansteigende Sitzreihen deutlich geeigneter, findet Intendant Hemmer. An einen schnellen Baubeginn der neuen Konzerthalle glauben in Nürnberg wenige. Zu viele Fragen scheinen noch geklärt werden zu müssen, bevor die Kunst in Nürnberg ein neues Dach über dem Kopf bekommt.