Neuburg
Grausig und rätselhaft

15.10.2010 | Stand 03.12.2020, 3:34 Uhr

Nach siebeneinhalb Jahren in der Donau tauchte im März vergangenen Jahres der Mercedes mit dem Opfer aus dem Bergheimer Stausee auf. Das Foto zeigt genau den Moment, in dem die Windschutzscheibe platzte und der Schlamm mit dem Leichnam herausbricht. - Foto: r

Neuburg (DK) Der 10. März vergangenen Jahres änderte alles in diesem Fall: Aus dem graugrünen Wasser des Bergheimer Stausees tauchte der alte Mercedes 230 mit dem Leichnam des Opfers auf. Siebeneinhalb Jahre lang ruhte der tote Rudolf Rupp aus dem Neuburger Ortsteil Heinrichsheim auf dem Donaugrund.

Dabei hatten doch die Richter vor fünf Jahren festgestellt, dass der Landwirt von seiner eigenen Familie zerstückelt und an Tiere verfüttert worden sei.
 

Nicht zuletzt, dass dieser kapitale Irrtum auch schriftlich festgehalten ist, macht das Urteil des Ingolstädter Landgerichts vom 13. Mai 2005 angreifbar. Die Leiche wies auch nicht – wie erwartet – eine Kopfverletzung auf. Auf Drängen neuer Verteidiger erklärte das Oberlandesgericht München die Wiederaufnahme des Verfahrens für zulässig. Und kommenden Mittwoch geht es wieder von vorne los: Das Landgericht Landshut verhandelt den Fall Rupp neu. Auf der Anklagebank sitzen die heute 54-jährige Frau des Opfers, die beiden 21 und 24 Jahre alten Töchter sowie der 25-jährige Ex-Freund einer der beiden.

Sollte die Große Strafkammer ebenfalls zur Ansicht gelangen, dass die Familie den damals 52-jährigen Vater getötet hat, so haben die Angeklagten ihre Strafen bereits verbüßt. Steht am Ende ein Freispruch, so warten auf die Ehefrau und den jungen Neuburger Haftentschädigungen in fünfstelliger Höhe.

Dieser verregnete Märztag an der Bergheimer Donau bleibt der Ingolstädter Justiz unvergessen. Der längst zu den Akten gelegte Fall ohne Leiche tauchte unvermutet wieder auf. Zunächst ging es nur um die Bergung zweier Schrottautos. Die Kraftwerksbetreiber hatten der Neuburger Polizei ihre Echolotfunde gezeigt. Dann entdeckte einer der Taucher das Kennzeichen ND-AE 265 – Rudolf Rupps Wagen! Ermittler und Staatsanwälte eilten zur Staustufe. Langsam schob sich der braun veralgte Mercedes aus der Donau. Weil die Taucher einen Luftsack ins verschlammte Wageninnere gepresst hatten, platzte die Windschutzscheibe, der Leichnam fiel in die Donau. Die Gerichtsmedizin stellte am nächsten Tag fest: Es ist der vermisste Landwirt. Mit diesem Fund, so gab Oberstaatsanwalt Helmut Walter zu, "haben wir nicht mehr gerechnet".

Die Bergung ist aus Sicht der Staatsanwaltschaft "unglücklich gelaufen". Das Herausbrechen der teils skelettierten Leiche erschwerte die Spurenarbeit. Die Position des Opfers konnte nur noch rekonstruiert werden. "Ohne Luftsack hätten wir den Wagen niemals aus dem Schlamm bekommen", sagt der Chef des Tauchertrupps dazu. Der Zündschlüssel des Mercedes war abgezogen und verschwunden. Der Hebel der Fahrautomatik stand auf "P"-Stellung. In dieser Position hätte sich der Wagen eigentlich gar nicht bewegen können.

Nach der Bergung waren die alten Theorien Makulatur. Die Fahnder waren ursprünglich wohl davon ausgegangen, dass der tote Rudolf Rupp mitsamt seinem Auto in einer osteuropäischen Schrottpresse verschwunden sei. Dass die Täter das Opfer zerstückelt und den fünf Dobermann-Hunden im Haus zum Fraß vorgeworfen hätten, "daran zu glauben, haben wir uns anfangs geweigert", sagt Oberstaatsanwalt Christian Veh. Dennoch fand diese Spekulation Eingang in den Prozess und in das Urteil des Landgerichts. Das war der Punkt, an dem die Anwälte der Familie bei den Bemühungen um eine Wiederaufnahme des Prozesses ansetzten.

Ein rechtzeitiger Fund des 52-jährigen Opfers hätte in der Gerichtsverhandlung Klarheit und den Indizien Gewicht verschafft. Doch 23 Tauchtage hatten nicht ausgereicht, um den versenkten Mercedes zu finden. Die Polizei tauchte im Irgertsheimer Weiher, in Bergheimer, Zauner und Zeller Seen sowie kilometerweit in der Donau.

"Vielleicht haben wir ihn um einen Meter verpasst", vermutet der Einsatzleiter der Bereitschaftspolizei. Denn am 7. April 2004 suchten Taucher genau an der Stelle, an der 2009 das Auto dann endlich entdeckt worden ist. Auf Wunsch von Kraftwerksbetreiber E.ON war man wegen der Turbinenströmung nicht weit genug in den Fluss hineingegangen.

Der zweite Teil der Serie folgt M Montag.