Neuburg
Gefährliche Odyssee einer Brieftaube

Nach einem Habichtangriff päppelt die Neuburger Tierhilfe Jonathan den verletzten Vogel wieder auf

12.10.2015 | Stand 02.12.2020, 20:42 Uhr

Abschied von der gefiederten Patientin: Günter Neuner von der Tierhilfe mit Brieftaube 0811DV14125 – vor der Heimreise in einer Transportbox einer Spezialspedition. - Foto: Neuner

Neuburg (DK) Der Flug von 0811DV14125 endete beinahe tödlich. Der „selbstreproduzierende Kleinflugkörper auf biologischer Basis mit fest programmierter automatischer Rückkehr aus beliebigen Richtungen und Distanzen“ – wie das Schweizer Armee-Merkblatt von 1878 eine Brieftaube definiert – war Ende Juli bei einem Massenstart im niederösterreichischen Amstetten in den Himmel aufgestiegen.

Das Ziel des Wettbewerbs: Pulheim bei Köln. Nach etwa 150 Kilometern war die Taube unangekündigt in königlich-bayerischen Luftraum eingedrungen und wurde wenig später von einem Habicht unter Einsatz aller zur Verfügung stehenden Bordwaffen zu Boden gebracht.

Sie überlebte schwer verletzt – und landete schließlich bei der Tierhilfe Jonathan in Neuburg. „Sie hatte einen sehr komplizierten Oberschenkelbruch“, erklärt der Vorsitzende Günter Neuner. Nach einem Tierklinikaufenthalt in Ingolstadt begann für 0811DV14125 die Reha in Neuburg. Bis in den Herbst hinein pflegten die ehrenamtlichen Helfer den Vogel gesund. Vergangene Woche ging es dann zurück zum Züchter – in einer Transportbox. „Sie hat ihren Heimatsinn verloren, weil sie zu lange bei uns war, würde also wohl nicht mehr in ihren Taubenschlag finden“, erklärt Neuner.

Der Orientierungssinn der Brieftauben gibt der Wissenschaft bis heute Rätsel auf. Man geht davon aus, dass sie sich – ähnlich wie Zugvögel – am Stand der Sonne und markanten Wegpunkten am Boden orientieren und außerdem ein Gespür für das Magnetfeld der Erde haben. Sind die Geodaten des Heimatschlags erst einmal gespeichert, findet die Taube immer wieder den Weg zurück. „Eine Brieftaube fliegt immer heim“, sagt Neuner. Bei 0811DV14125 sei aber zu befürchten, dass sie vergessen hat, wo ihre Heimat ist.

„Diese Tiere sind wirklich faszinierend“, erklärt Neuner. „Auf der einen Seite gibt es Brieftauben, Hochzeitstauben und Friedenstauben, auf der anderen Seite nennt man sie Ratten der Lüfte“, prangert der Tierschützer die Doppelmoral des Menschen an. Alle drei Tauben-Berufsstände tun sich in der freien Natur gleichermaßen schwer. „Sie sind es nicht gewohnt, sich selbstständig Nahrung zu suchen“, sagt Neuner. Für Greifvögel stellen sie ein gefundenes Fressen dar: Besonders das strahlend weiße Gefieder der Friedenstauben muss auf einen Habicht oder Wanderfalken wie eine Einladung wirken.

0811DV14125 ist mittlerweile in ihrem Heimatschlag angekommen, darf vorerst aber wohl nicht fliegen – sonst würde sie vielleicht Kurs in Richtung Neuburg einschlagen.