München
Theater als Therapie

In München spielen psychisch kranke Straftäter Schillers "Räuber"

06.05.2016 | Stand 02.12.2020, 19:51 Uhr

Noch sitzt der Text nicht sicher: Mit Erinnerungshilfen in der Hand proben die Laiendarsteller in der Klinik für Forensische Psychiatrie Schillers Klassiker "Die Räuber". Mitte Juni soll es die erste öffentliche Aufführung geben. - Foto: kbo Isar-Amper-Klinikum München-Ost

München (DK) Der Alltag ist nicht leicht in der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie in München. Psychisch kranke und suchtkranke Straftäter sitzen hier ein. Sie sollen wieder auf ein eigenverantwortliches Leben vorbereitet werden, ohne rückfällig zu werden. Es ist, auch wenn es offiziell nicht so heißt, eine Art Gefängnis. Die Fenster sind vergittert, hohe Zäune schirmen das Gelände ab. Der Ausgang, wenn überhaupt, ist streng geregelt. Zu den vielfältigen Therapieangeboten neben Malen, Musik und Sport gehört auch das Theaterspielen. Und das betreiben die Männer und Frauen keinesfalls nur aus medizinischen Gründen, sondern sie wollen mit ihrem Stück auch vor Publikum auftreten.

Sehr ambitioniert ist das Werk, das sie sich heuer ausgesucht haben: "Die Räuber" von Friedrich Schiller. Zum einen ist die Sprache gut 200 Jahre alt, zum anderen dauert die Handlung, vollständig aufgeführt, mehrere Stunden. Allerdings passt das Drama irgendwie zum Schicksal der Patienten: Beide Hauptfiguren, Franz und auch sein Bruder Karl Moor, werden aus seelischen Gründen zu Gesetzesbrechern - pathologischer Freiheitsdrang treibt den älteren an, krankhafte Eifersucht den jüngeren. Beide sind am Ende ausgestoßen aus der Gesellschaft.

Die Proben dauern bereits seit mehreren Wochen an, Nervosität hat die Laienschauspieler ergriffen. Zum sechsten Mal stellen sich die künstlerisch ambitionierten Patienten der Gunst des Publikums und präsentieren sich auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Die Premiere ist geplant im Rahmen des Forensik-Symposiums für Freitag, 17. Juni 2016, im früheren Bezirkskrankenhaus Haar, das heute Klinikum München-Ost heißt. Sollte die erste Aufführung ein Erfolg sein, sind weitere Gastspiele geplant, unter anderem auch in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim und in der Universitätsklinik in der Münchner Nußbaumstraße.

Die Regie hat ein Profi übernommen, der ausgebildete Schauspieler Bernd Wengert aus Konstanz. Schon länger gehört es zu seinem Repertoire, in Psychiatrien zu arbeiten - nicht nur mit seelisch kranken Straftätern, auch mit juristisch unbescholtenen psychisch Kranken. In jedem Fall gilt für Wengert: "Nicht die Krankheit steht im Mittelpunkt - auch wenn diese natürlich immer irgendwie mitspielt -, sondern die Rolle, in die ein jeder Patient hineinschlüpft." Er hat auch schon andere Stücke in Kliniken erarbeitet, "Das Weihnachtsmärchen" von Charles Dickens beispielsweise oder "Der kleine Prinz" von Antoine des Saint-Excupéry. "Die Räuber" aber seien besonders anspruchsvoll. Gerade die Sprache macht es vielen nicht ganz einfach: Vieles ist in die heutige Zeit "übersetzt", aber nicht alles. Um die Authentizität zu bewahren, werden am Ende doch viele Zitate beibehalten.

Die Arbeit erfordert für ihn höchste Konzentration und starke Nerven. Denn selbst gesunde Schauspieler sind bei der Erarbeitung ihrer Rolle oft angespannt und auch ein wenig launisch. Die Forensik-Patienten - noch sind alle bei guter Laune - aber werden besonders gefordert, es reichen oft kleine Anlässe, dass es zu Stimmungsumschwüngen kommt. Mehr als acht Teilnehmer sind kaum zu bewältigen, auch müssen aus Sicherheitsgründen immer mindestens zwei Pfleger mit dabei sein.

Angst vor seinen Darstellern hat Bernd Wengert aber trotzdem nicht. Täglich wird mehrere Stunden gearbeitet, die Dialoge müssen auswendig gelernt werden. Mehr als zwei Stunden am Stück sind aber kaum möglich, dann ist eine Pause erforderlich. Es soll sich auch niemand übernehmen nervlich.

Unterstützt werden die Patienten durch erfahrene Mitarbeiter der Klinik. Die "Erste Allgemeine Forensikband" unter der Leitung von Peter Satzger liefert den musikalischen Background mit Stücken der Ingolstädter Rockband "Bonfire", die bereits 2008 die Songs zur "Räuber"-Inszenierung am Ingolstädter Stadttheater beisteuerte.