München (DK)
"Da wird geschossen"

Nach den ersten Nachrichten über einen vermeintlichen Anschlag bricht Panik aus Szenen einer Nacht, wie sie München noch nicht erlebt hat

24.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:30 Uhr

München (DK)/dpa) An einem sommerlichen Freitagabend sind in der Münchner Innenstadt normalerweise alle Gaststätten voll - draußen vor den Szenelokalen Trauben von Menschen, die reden, rauchen und trinken. Doch an diesem Freitagabend ist nichts normal.

Nach den tödlichen Schüssen beim Münchner Olympia-Einkaufszentrum bricht Panik aus, dann legt sich eine Schockstarre über die Stadt.

Die Nachricht über das Blutbad und den zunächst flüchtigen Täter breitet sich via Twitter und andere soziale Netzwerke in Windeseile aus. Viele Lokale in der Innenstadt schließen eilends, nicht mal für einen Hinweis an der Eingangstür bleibt Zeit. Auch im weltbekannten Hofbräuhaus sind gegen 21 Uhr keine Gäste mehr. "Hier ist zwar nichts passiert, aber es hat sich Panik ausgebreitet", sagt Serviceleiter Werner Posselt.

Die Münchner Polizei ruft per Twitter dazu auf, öffentliche Plätze sowie U- und S-Bahnen in der Stadt zu meiden. Ebenfalls über soziale Netzwerke warnen sich die Menschen rund ums das Einkaufszentrum und bieten Zuflucht an. Aber genauso rasch verbreiten sich auch Falschmeldungen, wonach auch am Stachus, am Isartor und an weiteren Orten Schüsse gefallen sein sollen. Nichts davon stimmt - Fluch und Segen neuer Techniken.

Sollte jemand gezielt Desinformationen gestreut haben, werde das rechtliche Konsequenzen haben, betont die Polizei. "Wir müssen schon auch überprüfen, inwieweit hier Leute meinten, sie würden etwas Witziges tun, indem sie solche Behauptungen ins Netz stellen oder deswegen die Polizei anrufen", sagt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU).

Im Färbergraben warnt ein Mann Passanten, die in Richtung Stachus laufen: "Gehen Sie in die andere Richtung, am Stachus wird geschossen!" Zwei entgeisterte Frauen drehen auf dem Absatz um.

Am Stachus rennen aufgrund des Fehlalarms mehr als 100 Menschen schreiend weg und flüchten Richtung Hauptbahnhof. "Da wird geschossen", ruft eine Frau und kauert sich weinend hinter einen Betonsockel auf einer Verkehrsinsel. Ein Trupp vermummter Polizisten in grünen Kampfanzügen, mit Helmen und Gewehren im Anschlag, läuft vorbei.

Im Hofbräuhaus bricht eine Massenpanik aus, nachdem ein Gerücht die Runde macht, es habe Schüsse gegeben. Hunderte Gäste verlassen in wilder Flucht die weltbekannte Gastwirtschaft, einige versuchten sogar, Fenster einzuschlagen, um sich einen Fluchtweg zu schaffen. Allein das benachbarte Luxushotel Mandarin Oriental bietet mehr als 200 Menschen aus dem Hofbräuhaus Zuflucht.

Am Tag nach dem Amoklauf erzählt der 38-jährige Walid Rzig, der in einem Hotel nahe des OEZ arbeitet, dass am Tatabend drei junge Frauen hereingekommen und in Tränen ausgebrochen seien. Er habe zunächst gedacht, es gehe um einen Jungen. "Was wirklich los war, habe ich erst gar nicht verstanden", sagt er. Erst als ein Polizist eingetreten sei und gesagt habe, dass er einen Unterschlupf für 150 bis 300 Leute brauche, sei ihm der Ernst der Lage bewusst geworden. Bis tief in die Nacht seien diese dann in einem großen Saal des Hotels mit Getränken und Snacks versorgt worden. Er selbst habe nach dem ersten Schock sofort alle Freunde und Verwandten, die in der Nähe wohnen, angerufen. "Gott sei Dank ist alles in Ordnung gewesen", sagt er.