München
"Ein besonders sicheres Land"

Kriminologe Christian Pfeiffer zur aktuellen Gewalt und dem Klima in Deutschland

25.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:30 Uhr

München (DK) Die Schreckensnachrichten dieser Woche verunsichern die Menschen - auch und vor allem im Freistaat. Seit Längerem setzt sich die Wissenschaft mit den Phänomenen Gewalt und Kriminalität auseinander. Ein Experte für diese Forschungsfelder ist der Kriminologe Christian Pfeiffer. Er war Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) und Justizminister des norddeutschen Bundeslandes.

 

Herr Pfeiffer, erleben wir hier den Anfang einer Welle von Anschlägen oder ist diese Serie in kürzester Zeit Zufall?

Christian Pfeiffer: Für manchen labilen Täter sind die Berichte über Anschläge und Gewalt ein Signal und eine Möglichkeit, aus der subjektiv empfundenen Bedeutungslosigkeit herauszukommen, im Mittelpunkt zu stehen und berühmt zu werden. Die mediale Berichterstattung über Gewalttaten und Anschläge kann so zu einem Ansteckungseffekt und Trittbrettfahrern führen.

 

Erfurt, Winnenden, jetzt der Amoklauf in München - müssen wir uns auf amerikanische Verhältnisse einstellen?

Pfeiffer: Nein, da trennen uns Welten. So haben Schusswaffentötungen seit 1996 von 632 auf 129 abgenommen. Die Tötungskriminalität der 18- bis 21-Jährigen ist seit der deutschen Einheit um 50 Prozent zurückgegangen. Auch die Jugendgewalt hat in den letzten acht Jahren um die Hälfte abgenommen. Ein Hauptgrund hierfür ist ein erfreulicher Wandel der elterlichen Erziehungskultur in Richtung auf mehr Liebe und weniger Hiebe. Deutschland ist im internationalen Vergleich dadurch ein besonders sicheres Land geworden. Daran ändern auch ein Amoklauf wie der in München oder das Attentat von Ansbach nichts, wo jeweils psychisch stark angeschlagene Täter ausgerastet sind.

 

Einige Politiker fordern eine Verschärfung des Waffenrechts und ein stärkeres Vorgehen gegen Gewaltverherrlichung im Internet und in Videospielen. Muss hier gehandelt werden?

Pfeiffer: Gewaltverherrlichende Spiele zu verbieten ist völlig unsinnig. Die kann man sich im Internet jederzeit runterladen. Hier sind vor allem die Eltern und Familien gefragt. Die Schulen sollten in die Lage versetzt werden, ein Programm namens "Lust auf Leben wecken" anzubieten, das bei den Jugendlichen echte Leidenschaft für reale Lebensinhalte wecken kann und eine echte Alternative zum stundenlangen Computerspielen eröffnet. Unser Waffenrecht ist im internationalen Vergleich vorbildlich.

 

Gibt es einen messbaren Zusammenhang zwischen Migration und der Bedrohung durch Terror und Gewalt?

Pfeiffer: Der Täter von München war ein Deutsch-Iraner. Seine Außenseiterrolle mag auch damit zusammengehangen haben, dass er kein eingefleischter Bayer war. Entscheidend ist aber nicht, ob jemand Ausländer oder Deutscher ist, sondern, ob er sozial verwurzelt ist und mit beiden Beinen im Leben steht. Wer Freunde und ein soziales Netz hat, wer in der Familie Geborgenheit, Liebe und Sicherheit erlebt, der landet auf der guten Seite. Der deutliche Rückgang bei der Jugendgewalt bestätigt das. Auch bei Migranten sehen wir eine positive Entwicklung weg von Gewalt und Machotum. Bei den Neuankömmlingen sieht dies noch anders aus, besonders bei Gruppen, die keine Aufenthaltsperspektive haben. Da besteht die Gefahr, dass sie ihren Frust und ihre Wut ausleben.

 

Wie kann man sich gegen diese Gewalt, gerade auch von psychisch labilen oder abgelehnten Asylbewerbern, schützen?

Pfeiffer: Wenn die Abschiebung scheitert, muss man alles daran setzen, ihre freiwillige Ausreise zu erreichen. Man muss den Start dieser Menschen in der alten Heimat besser unterstützen. Diejenigen, die wissen, sie müssen gehen, aber noch in Deutschland bleiben können, werden entweder Schwarzarbeiter, Kleinkriminelle und manchmal Gewalttäter. Die Innenminister sollten über Maßnahmen beraten. Wir sollten uns aber nicht irremachen lassen. Grundsätzlich sind wir auf dem richtigen Weg.

 

Droht jetzt dauerhaft ein Klima der Angst in der Republik?

Pfeiffer: Das gesellschaftliche Klima wird durch solche Ereignisse natürlich geprägt. Wir müssen aufpassen, dass daraus keine grundlegende politische Veränderung entsteht. Rechte und Populisten könnten profitieren. Die Politik muss zeigen, dass sie die Lage im Griff hat. Die Verantwortlichen in Bund und Ländern müssen deutlich machen, dass wir trotz der aktuellen Gewalt hervorragend dastehen.

 

Das Interview führte

Andreas Herholz.