Ingolstadt
Politische Seifenoper

Der erste bayerische Landesparteitag der neu gegründeten AfD in Ingolstadt endet in einem chaotischen Machtkampf

12.05.2013 | Stand 03.12.2020, 0:09 Uhr
Vergeblicher Einsatz: Der AfD-Bundesvorsitzende Bernd Lucke riss die Teilnehmer des Landesparteitages in Ingolstadt mit. Doch am Ende überschattete der Streit zwischen dem Landesvorsitzenden Wolf-Joachim Schünemannund seinem Herausforderer Martin Sichert den Parteitag. −Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) Am späten Abend ist das Chaos komplett. Stundenlang haben die Parteimitglieder über ihre neue Führung gestritten. Haben sich gegenseitig beleidigt und der Lüge bezichtigt. Haben sich die Vorträge der Kandidaten angehört, sie mit bohrenden Fragen bloßgestellt.

Haben mit knapper Mehrheit doch noch einen neuen Vorsitzenden gewählt. Und jetzt? Ungültig. Offenbar haben Mitglieder, die längst zu Hause sind, Stimmzettel vergessen. Manipulationsgefahr. Es ist das vorläufige Ende einer politischen Seifenoper. Schauplatz: der bayerische Landesparteitag der neuen Anti-Euro-Partei Alternative für Deutschland (AfD), im Wirtshaus Am Auwaldsee, Ingolstadt. Um die 400 Mitglieder sind am Morgen in den großen Saal des Wirtshauses gekommen, sitzen an Bierbänken mit weißen Tischdecken. Die meisten kennen sich noch nicht, einige haben per E-Mail Kontakt gehabt. Trotzdem hängen schon Transparente. „Wir lieben Deutschland!“, „Wir sind die Guten!“. Sendungsbewusstsein einer neuen Partei, die Europa am Abgrund sieht.

Die Rettung des Euro spalte den Kontinent. Die verschuldeten Südländer sollten aus der Währungsunion austreten, um wieder auf die Beine zu kommen. Das sind die Thesen, mit denen der Hamburger Volkswirtschaftsprofessor Bernd Lucke, Bundesvorsitzender der AfD, seit Wochen durch Fernsehtalkshows zieht. Nach Meinung von Fachleuten macht er das sehr überzeugend. In Umfragen liegt die Partei bundesweit bei drei Prozent. Tendenz: steigend. Bis zur Bundestagswahl im Herbst müssen Strukturen her. Funktionierende Landesverbände.

Im Wirtshaussaal sieht es danach noch nicht aus. Es gibt Unmut. Im Lauf der vergangenen Woche hatte es intern Streit gegeben. Der Landesvorsitzende Wolf-Joachim Schünemann, ein Unternehmer aus Fürth, steht heftig in der Kritik. Die Gründungsversammlung in Ebersberg am Ostersonntag sei schlecht terminiert gewesen, heißt es. Am Ende kamen nur rund 150 Mitglieder.

Noch schwerer wiegt ein anderer Vorwurf. Schünemann versuche Konkurrenten mundtod zu machen, sagen einige. Gegen zwei Mitglieder hat der Landeschef Ausschlussverfahren eingeleitet. Über die Gründe gibt es unterschiedliche Versionen. Schünemann sagt, sie hätten unerlaubt Mailadressen von Mitgliedern verwendet. Zudem hätten sie Stimmung gegen die Parteiführung gemacht, Hinweise auf vermeintliche Finanzprobleme Einzelner gestreut.

Die beiden Mitglieder sehen es völlig anders. Sie hätten per Mail nur mit benachbarten AfD-Ortsverbänden Kontakt aufnehmen wollen, sagen sie. Ganz harmlos. Alles im Interesse der Partei. Der Landeschef wolle sie nur nicht als Konkurrenten.

Der Kampf um die Führungsposten im Landesverband hat vor allem einen Grund: Es geht auch um Bundestagsmandate. Sollte die Partei im Herbst tatsächlich über die fünf Prozent-Marke schaffen, kommt aus Bayern nur eine Handvoll Abgeordneter ins Parlament. Und wer die Spitzenposten im Landesverband besetzt, hat auch gute Chancen auf der Liste weit oben zu stehen. Es ist ein Machtkampf um Posten.

Entsprechend gereizt ist die Stimmung schon, als es um die Satzung geht. Etliche Änderungsanträge werden vorgetragen. Haarspaltereien. Eine Sitzungspause wird beantragt. „Wer muss pieseln“, ruft es von einem der Biertische. Die Pause wird abgelehnt. Da müssen jetzt alle durch. Der Bundesvorsitzende Bernd Lucke ist persönlich gekommen. Er sitzt vorne auf dem Podium, versucht für Ordnung zu sorgen. Schünemann sitzt neben ihm, meldet sich den ganzen Tag über nicht zu Wort.

Es ist früher Nachmittag, als der erste wichtige Programmpunkt auf die Tagesordnung kommt: Landtagswahl ja oder nein? Vor dem Parteitag hatten sich viele dafür ausgesprochen. Aber jetzt ist Lucke da. Er will nicht, dass die AfD für den Landtag kandidiert. Sonst müsse sich die Partei auch zur Bildungspolitik und zu Agrarthemen äußern, warnt er. Ihm gehe es aber um den Euro, um Rechtsstaatlichkeit, um das Demokratiedefizit. Um Themen, die im Bund und nicht in Bayern entschieden werden. Eine Niederlage in Bayern, eine Woche vor der Bundestagswahl, könne der Partei schaden. „Ich appelliere an Ihr Verantwortungsgefühl“, ruft Lucke. Bravo-Rufe branden auf. Kurz darauf lehnt der Parteitag die Teilnahme an der Landtagswahl mit großer Mehrheit ab.

Dann rückt die große Abrechnung näher. Die Neuwahl des Vorstands. Fünf Männer bewerben sich für den Landesvorsitz, darunter Schünemann und sein Stellvertreter Martin Sichert. Es gibt eine Aussprache. Die Kandidaten müssen sich vorstellen. Fragen werden gestellt. Einige machen Schünemann heftige Vorwürfe. „Es kann nicht sein, dass sich bei der AfD in Bayern putin-ähnliche Zustände abspielen“, sagt einer.

Auch die Sache mit den Finanzproblemen wird noch einmal breitgetreten. „Ich stehe dazu, dass 2011 meine Firma 13 884 Euro Verlust gemacht hat“, sagt Schünemann.

Bei der Vorstellung der Kandidaten kommt das, was Mitglieder hinterher als „Dolchstoß“ bezeichnen, als „Angriff von hinten“. Schünemanns Stellvertreter Martin Sichert steht am Mikrofon. Vorher hatten die Vorstandsmitglieder offenbar noch vereinbart, nicht gegeneinander zu kandidieren. Sichert hat es sich offensichtlich anders überlegt. Er als Stellvertreter habe erst „im Nachgang“ von den Parteiausschlussverfahren erfahren, beteuert der 32-Jährige, der früher FDP-Mitglied war. Da höre die Solidarität auf. „Ich bin der Meinung, wir brauchen vorne jemanden, der für Demokratie sorgt“, ruft er. Etwa zwei Stunden später das Wahlergebnis: Sichert hat gewonnen.

Kurz darauf hat sich draußen eine Traube gebildet. Das Schünemann-Lager. „Schäm dich“, giften einige, als Sichert dazukommt. „Warum hast du gelogen“, ruft Schünemann selbst. Sichert schüttelt den Kopf. Andere klatschen ihm hämisch Applaus. „Da ist er, unser neuer Vorsitzender.“

Aber auch das stimmt schon kurz darauf nicht mehr. Die Nachricht von der ungültigen Wahl kommt keine halbe Stunde später. Der bisherige Vorstand soll nun vorerst im Amt bleiben. Ein weiterer Parteitag entscheidet über die Neuwahl. Vielleicht schon nächstes Wochenende. Vielleicht eine Woche darauf. Der Schauplatz ist noch nicht bekannt.

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