Ingolstadt
Die Furcht vor Überwachung

Weil Bayerns Polizisten keine Ortung wollen, wird das Potenzial des milliardenteuren Digitalfunks nicht ausgeschöpft

08.02.2016 | Stand 02.12.2020, 20:13 Uhr

Ingolstadt (DK) Zwei Jahre nach Einführung des Digitalfunks bei der Polizei in Bayern bleibt eine wichtige Funktion dieser Technik weitgehend ungenutzt. Die GPS-Ortung von Geräten - und folglich ihrer Benutzer - findet nur eingeschränkt statt. Im Alltag fehlt damit ein wichtiges Mittel zur Einsatzoptimierung.

Die Vorteile des Digitalfunks sind unbestritten. Die Geräte sind deutlich kleiner und leistungsfähiger als bei analoger Kommunikation, die Sprachqualität erweist sich als merklich höher, zudem gilt die Technik als abhörsicher. Die Verbesserungen sind freilich teuer erkauft: Mit rund einer Milliarde Euro beziffert das bayerische Innenministerium die Kosten für Netzaufbau und Betrieb bis 2021, wobei der Bund sich mit etwa 20 Prozent beteiligt. Umso unverständlicher erscheint es, dass ein wichtiges Potenzial des Digitalfunks nicht zum Einsatz kommt: die GPS-Ortung.

Schon bei der Schulung der Beamten vor drei Jahren im Vorfeld der Einführung hatte es geheißen, dass die neue Technik einen "angenehmen und unangenehmen Nebeneffekt" mit sich bringe: Jede Streife sei über das GPS-Signal der Funkgeräte permanent zu orten. "Da hat mancher Kollege geschluckt und war erst einmal dagegen", erinnert sich ein Ingolstädter Polizist. Die Bedenken führten dazu, dass diese Funktion bis heute bayernweit nicht generell aktiviert ist. Nur wenn ein Polizist aktiv die Notruftaste betätigt, blinkt in der Einsatzzentrale sein Standort auf. Er muss also selbst aktiv werden. Ist ihm das nicht mehr möglich, etwa weil er im Einsatz niedergeschlagen oder angeschossen wurde, wird er vergeblich auf Hilfe warten.

Mit einer Dienstverordnung vom 2. Dezember 2015 war der strikte Kurs kürzlich etwas gelockert worden. Sofern Polizisten aus unbekannten Gründen nicht erreicht werden können, mehrere Anrufversuche über Funk oder Mobiltelefon vergeblich bleiben und auch die Kontaktaufnahme mit der zuständigen Dienststelle keinen Aufschluss bringt, "kann eine Einzelortung per GPS-Polling" erfolgen, heißt es darin. Eine generelle Freischaltung des Signals wird es indes erst geben, wenn der Hauptpersonalrat der bayerischen Polizei eine entsprechende Regelung absegnet.

Die Zahl der Gegner dürfte mittlerweile geschrumpft sein, schließlich dient diese Technik der eigenen Sicherheit jedes Polizisten. "Es geht hier doch gar nicht darum, einzelne Beamte zu überwachen", stellt der Leitende Kriminaldirektor Jürgen Schermbach fest. Er war maßgeblich an den Planungen für die Einführung des Digitalfunks beim Polizeipräsidium Oberbayern-Nord in Ingolstadt beteiligt. "Das ist nicht als Leistungskontrolle gedacht und es interessiert auch niemanden, ob sich ein Kollege gerade mal eine Brotzeit holt."

Viel wichtiger, so erklärt Schermbach, seien die taktischen Vorteile eines aktivierten GPS-Signals in der täglichen Polizeiarbeit. "Wenn jemand irgendwo einen Unfall meldet, erkennt der Disponent in der Einsatzzentrale sofort, wo sich eine Streife in der Nähe befindet und kann sie gezielt und ohne Verzögerung mit der Sache beauftragen. Oder nehmen wir einen Einbruchsalarm: Wir könnten die am nächsten positionierten Kollegen sofort zum Tatort lotsen und andere ohne lange Nachfragen zu strategisch wichtigen Punkten für die Täterfahndung schicken."

Tests beim G 7-Gipfel oder während des Münchner Oktoberfests sollen dem Vernehmen nach deutlich gezeigt haben, dass die aktivierte GPS-Ortung sowohl Sicherheit als auch Effizienz der eingesetzten Polizeikräfte erhöht. "Sie verschafft uns oft einen zeitlichen Vorsprung", sagt Schermbach. "Für mich und meine Kollegen wäre die GPS-Ortung eine wertvolle Hilfe im Alltag", bestätigt einer der Koordinatoren in der Ingolstädter Einsatzzentrale des Polizeipräsidiums diese Aussage.

Aber was will die Basis? Fred Over etwa, viele Jahre als Kontaktbeamter in Ingolstadt unterwegs, hätte mit der Ortung "überhaupt kein Problem. Ich habe da draußen doch nichts zu verbergen. Da darf jeder wissen, wo ich mich gerade aufhalte", sagt er. "Wir sind doch zur Erfüllung eines gesetzlichen Auftrags unterwegs und nicht, um Benzin zu verfahren. Wer das anders sieht, hat vielleicht den falschen Beruf gewählt." Personalrat Peter Schall vom Präsidium Oberbayern-Nord "würde es begrüßen, wenn die Einführung bald realisiert würde. Es erleichtert die Arbeit erheblich."

Ob und wann der Hauptpersonalrat der bayerischen Polizei eine Dienstvereinbarung zur generellen Freischaltung der GPS-Ortung beim Polizeifunk unterzeichnen will, bleibt weiter offen. Vom Innenministerium, in dessen Zuständigkeit die Sache liegt, war dazu gestern keine Auskunft zu erhalten. Unabhängig davon gibt es beim Polizeipräsidium in Ingolstadt inzwischen Überlegungen für einen internen Pilotversuch, um Erfahrungen zu sammeln. Die Gespräche seien aber erst angelaufen.