Hilpoltstein
Technisches Wunder oder Zerstörungswerk?

Am 25. September wird der Main-Donau-Kanal 20 Jahre alt. Noch heute scheiden sich die Geister an der Wasserstraße

17.09.2012 | Stand 03.12.2020, 1:03 Uhr

20 Jahre nach der Eröffnung ist der Main-Donau-Kanal Alltagswirklichkeit in den Kanalorten geworden, wie hier in Riedenburg. Etwa zwei Dutzend Frachtschiffe fahren im Schnitt pro Tag auf der Wasserstraße. - Foto: Janda

Hilpoltstein/Beilngries (DK) Guido Zander steht im Business-Anzug vor einer Gruppe Journalisten in der Steuerzentrale der Schleuse Hilpoltstein. Gerade wird ein Güterschiff nach unten gelassen. Es geht abwärts, fast 25 Meter in die Tiefe.

Zigtausend Tonnen Wasser werden jetzt abgepumpt, damit die 660 Tonnen Dünger, die der Kahn „Herbert“ geladen hat, weiter in Richtung Donau fahren können. Für Zander, den Leiter des Wasser- und Schifffahrtsamtes Nürnberg, kommt das Schiff wie gerufen. Er hat Journalisten geladen, um die Leistungsfähigkeit des Kanals zu demonstrieren. Am 25. September wird der Main-Donau-Kanal 20 Jahre alt. Er reicht vom Main bei Bamberg bis zur Donau bei Kelheim. Eine 171 Kilometer lange Wasserschifffahrtsstraße, die die Nordsee mit dem Schwarzen Meer verbindet und in Trockenzeiten Zigmillionen Kubikmeter Wasser vom Donaugebiet ins Frankenland leitet.

Aber so sehr der Kanal verbinden sollte, so sehr entzweite er auch. 20 Jahre nach der Eröffnung bemühen sich Befürworter und Gegner, den Kanal mit Distanz zu sehen und ihre Argumente in aller Offenheit darzustellen. Aber die Gräben scheinen so breit wie eh und je.

Hubert Weiger, ein Urgestein der Kanalgegner, steigt aus dem Bus in Beilngries. Auch er hat Journalisten geladen. Er will die Wunden herzeigen, die der Kanalbau der Landschaft zugefügt hat. Der BN-Bundes- und Landesvorsitzende erklärt, dass das 2,5 Milliarden Euro teure Bauwerk „auch ökonomisch ein Flop“ gewesen sei. Kanal- und Schiffsgüterverkehr würden von der Industrie nicht so angenommen wie bei der Einweihung 1992 prognostiziert. „Nur ein Fünftel der offiziell genannten 20 Millionen Tonnen Güter“ seien transportiert worden.

Zander vom Wasserwirtschaftsamt ist kein Hardliner. Er spricht leise und sehr höflich. Beim Journalisten-Termin erklärt er, dass der Kanal auch im Jubiläumsjahr erst die Hälfte seiner Kapazität erreicht hat. Um die zwei Dutzend Schiffe würden täglich über den Kanal fahren. 48 könnten es aber sein, meint er. Die Stunde des Kanals schlage, wenn Straßen- und Schienenverkehr die Grenzen ihrer Belastbarkeit erreicht hätten.

Unterm Strich sei man jetzt schon zufrieden. „Die Erwartungen haben sich mehr als erfüllt.“ Kanalbefürworter hätten damals 5,5 Millionen Tonnen pro Jahr prognostiziert. Im Schnitt seien es heute schon 6,7 Millionen Tonnen jährlich, „eine überdurchschnittliche Entwicklung“. Wie der Bund Naturschutz zu so abweichenden Prognosen über die Wirtschaftlichkeit komme, könne er sich auch nicht erklären, sagt Guido Zander. Da habe wohl „der eine oder andere eine Vision bei der Eröffnung gehabt“.

Später räumt aber auch Zander ein, dass sich der Kanal betriebswirtschaftlich nicht rechnet und nur 20 Prozent seiner eigenen Kosten decken könne. Volkswirtschaftlich sei der Nutzen natürlich höher einzustufen.

BN-Chef Weiger steht unter einer der 117 Betonbrücken, die im Zug des Kanalbaus in die Landschaft gepflanzt wurden und schüttelt den Kopf. Er nennt es die „Maximierung des Betons“. Es sei „ein Unrecht“, das man der Natur angetan habe. Aber die Brücken hätten auch in wirtschaftlicher Hinsicht ein Manko: Heute wisse man, dass die Brücken nur eine Durchfahrtshöhe von sechs Metern erlauben statt der nötigen neun Meter. Die Folge: Moderne Containerschiffe könnten den Kanal nicht nutzen. Sie müssten in Regensburg entladen, die Fracht per Bahn nach Mannheim bringen und dort zur Weiterfahrt auf dem Rhein wieder auf Schiffe verladen. Weiger fühlt sich bestärkt: Ein „unsinniges und naturzerstörendes Prestigeobjekt der Bundesregierung und der bayerischen Staatsregierung“ sei der Kanal.

Schon vor vier Jahrzehnten gingen Weiger und die Kreisgruppen auf die Barrikaden, als sie erfuhren, was die Betreibergesellschaft RMD AG vorhabe, erzählt er. Eine der wichtigsten Bundeswassertrassen sollte quer durch das Sulz- und Altmühltal verlaufen, dem Urstromtal der Donau.

Politisch durchgesetzt habe man es, indem man den Kommunen Versprechungen gemacht. „Jede Gemeinde sollte eine Lände bekommen.“ Infrastrukturmaßnahmen wie Straßen, Brücken und Abwassersysteme seien bezahlt worden. Aber die Journalisten sollen selbst sehen.

Nach kurzer Fahrt ist die Gruppe im Ottmaringer Tal, zwischen Beilngries und Dietfurt gelegen, dem einstmals größten zusammenhängenden Moorgebiet der Region: Ein Erdwall aus trockenen Moorschichten ragt aus dem Boden. Weiger bricht ein Torfstück heraus und lässt es in der Hand zerbröseln – von Nässe keine Spur mehr. Der Grundwasserspiegel der Auenlandschaft wurde durch den Kanalbau abgesenkt. „Hier wurde einer der hochwertigsten ökologischen Lebensräume zerstört.“ Die Folgen des Kanalbaus trügen auch die Landwirte, sie hätten heute ein Drittel weniger Ertrag auf den Feldern als früher.

Rosemarie Mehler war dabei, als die RMD AG die Spundwände in das Ottmaringer Moos setzte, 30 Meter tief nach unten. Damit sollte die Austrocknung des Tales verhindert werden, erklärt sie. „Genützt hat es nichts“, sagt sie. Sie ist Landschaftsarchitektin und hat am Landschaftspflegeplan zum Kanalbau mitgearbeitet. Sie erklärt den Journalisten, dass 20 Prozent der Kanalkosten für Ersatzmaßnahmen aufgewendet worden seien. „Das war einmalig damals.“ Von „Ausgleich“ würde sie aber nicht reden. „Zerstört ist zerstört“, sagen die Naturschützer.

Im BN-Bus werden Fotos und Bücher herumgereicht, die dokumentieren sollen, wie sich die Landschaft verändert hat. Blühende Landschaften neben Baumleichen, urwüchsige Natur neben schnurgeraden Kanalschneisen. Über die Hälfte aller Pflanzen- und Tierarten sei ausgestorben. Sumpfohreule und Braunkehlchen, Erdkröte und Wasserspitzmaus werden als Beispiele genannt.

Von der Wasser- und Schifffahrtsdirektion will niemand bestreiten, dass die ökologischen Ziele in Beilngries und Dietfurt nicht erreicht worden seien. Alfred Baumeister ist Geschäftsführer der Rhein-Main-Donau Wasserstraßen GmbH, davor war er Chef der RMD AG, die für den Bau des Kanals verantwortlich war. Er hält den Journalisten eine Broschüre mit dem Titel „Dietfurts neue Biotope“ unter die Nase. „Der ökologische Ausgleich wurde voll erbracht. Der Erfüllungsgrad liegt bei 97 Prozent“, sagt Baumeister.

Die Schifffahrt auf dem Kanal soll weiter wachsen. Dafür soll die Donau zwischen Straubing und Vilshofen ausgebaut werden. Die Wasserstraßen GmbH will damit die Auslastung des Kanals erhöhen: Statt im Schnitt einem Schiff pro Stunde sollen dann zwei auf dem Kanal unterwegs sein. Sebastian Schönauer vom BN schüttelt den Kopf: „80 Prozent des Güterumschlags zu Wasser in Deutschland passiert auf dem Rhein. 20 Prozent teilen sich die fünf Binnenwasserstraßen. Der Main-Donau-Kanal ist nur eine davon.“