"Die Sinnhaftigkeit muss vermittelt werden"

30.09.2016 | Stand 02.12.2020, 19:14 Uhr

Experte fürs Ehrenamt: Wolfgang Krell. - Foto: Lonnemann

Wolfgang Krell vom Landesnetzwerk der Freiwilligenagenturen über die Bereitschaft, sich ehrenamtlich zu engagieren.

Herr Krell, wie steht es um das Ehrenamt in Bayern?

Wolfgang Krell: Aktuell steht es ausgezeichnet um das Ehrenamt: Fast die Hälfte aller Bürgerinnen und Bürger in unserem Land engagiert sich freiwillig.

 

Als vor einem Jahr so viele Flüchtlinge nach Bayern kamen, löste das eine Welle der Hilfsbereitschaft aus. Besteht diese Begeisterung noch?

Krell: Es sind immer noch sehr, sehr viele Bürger engagiert. Es gibt jedoch einen Wandel beim Inhalt der Aufgaben. Letztes Jahr und bis in dieses Jahr hinein war es mehr Nothilfe. Jetzt geht es mehr um Integrationsfragen wie Wohnen, Bildung und Arbeit. Enorm viele Freiwillige bieten Deutschkurse an, die nicht dem klassischen Schulsystem entsprechen. Sie vermitteln die Sprache vielmehr im persönlichen Kontakt.


Die Freiwilligen-Agentur Ingolstadt stellt fest, dass viele Bürger sich nur noch für Flüchtlinge engagieren möchten und anderes auf der Strecke bliebe. Haben Sie das auch beobachtet?

Krell: Das kann man so nicht sagen. Es herrschte sicher ein großer Andrang von Bürgern, die sich für Geflüchtete engagieren wollten. Aber wir merken jetzt nicht, dass das andere Interessen verdrängt.

 

Viele Vereine finden kaum noch Freiwillige, wenn sie Vorstandsämter neu besetzen müssen und stehen deshalb teils sogar vor der Auflösung. Ist das traditionelle Vereinswesen ein Auslaufmodell?

Krell: Immer wieder wird gesagt: Das kurzzeitige Engagement ist Mode und beliebter. Wir haben aber genauso noch Leute, die sich zehn Jahre lang engagieren. Wichtig ist: Die Einrichtungen müssen sich dafür öffnen, dass die Leute nicht mehr nur einmal die Woche für vier Stunden in den nächsten zehn Jahren kommen wollen, sondern dass es Leute gibt, die sich nur einmal im Jahr für das Sommerfest engagieren wollen. Diesen verschiedenen Zeitvorstellungen muss man gerecht werden.

Die Schwierigkeit bei Vereinen sind die Verantwortungspositionen der Vorstände, die besetzt werden müssen. Es gibt häufig einen Vorsitzenden, der muss alles machen. Wenn alles bei einem hängen bleibt, dann ist es aber zu viel. Da macht der Bürger nicht mehr mit. Wenn man diese Verantwortung mehr aufteilt, dann findet man auch leichter jemanden. Dazu muss man einen Verein aber umstrukturieren.

Wenn sich allerdings niemand mehr findet, der Interesse hat, dann löst sich ein Verein halt auf. Da muss man ganz pragmatisch und realistisch sein. Schließlich muss man auch noch eines berücksichtigen: Wir bekommen ständig neue und mehr Vereine.

 

Was spricht Menschen heute an, damit sie sich ehrenamtlich einbringen?

Krell: Die Sinnhaftigkeit eines Einsatzes muss vermittelt werden. Ein zweiter Punkt ist: Ich muss spüren, dass ich mitgestalten kann. Wenn Menschen spüren, dass sie etwas bewegen können, dann lassen sie sich motivieren. Die älteren Menschen sagen uns ganz oft: Mir geht es gut, ich möchte der Gesellschaft etwas zurückgeben. Die Jüngeren wollen andere Dinge kennenlernen und reinschnuppern, ob etwas für sie beruflich interessant ist. Oder die Leute wollen mal etwas ganz anderes ausprobieren: der Banker, der sich sozial engagieren will. Wir haben auch Frauen, die nach der Familienphase wieder einsteigen wollen und die im Engagement testen, wie es ist, wenn sie zwei halbe Tage weg sind von daheim.

 

Welche Schlüsse ziehen die Freiwilligen-Agenturen daraus?

Krell: Die Bürger kommen zu uns - das Interesse ist da. Das Problem ist, passende Einsatzstellen zu finden, die diese Offenheit haben. Die anbieten, wenn jemand etwas bewegen will, die zeitlich variabel sind. Das ist eine unserer Kernaufgaben als Freiwilligen-Agenturen.

Die guten Rahmenbedingungen für Ehrenamtliche sind aber auch ein wichtiger Faktor, dass Bürger kommen und im Engagement bleiben. Wenn ich mit meinem Auto unterwegs bin, bin ich dann versichert? Werden mir zumindest die Kosten erstattet? Wie werde ich geschult und begleitet? Welche Anerkennung gibt es? Wie kann ich profitieren als Person? Das muss eine Freiwilligen-Agentur bei einer Organisation oder bei einem Projekt abklären, bevor sie für einen interessierten Bürger zu suchen anfängt.

 

Die Fragen stellte Suzanne Schattenhofer.