Fast
Schwindelnde Höhen

22.08.2014 | Stand 02.12.2020, 22:19 Uhr

Luftverkehr im Allgäu: Der Flughafen Memmingen wirbt mit unkomplizierter Abfertigung und kurzen Wegen für die Passagiere - Fotos: Allgäu Airport

Fast alle bayerischen Regionalflughäfen machen Verluste – viele werden mit Steuergeld alimentiert. Kritiker bezweifeln den Nutzen. Die Betreiber machen eigene Rechnungen auf.

 

Memmingen (DK) Das Büro von Ralf Schmid erzählt Erfolgsgeschichten. Auf Tischen und Fensterbänken stehen Flugzeugminiaturen. Tui-Fly, Ryanair, Wizz Air – Modelle, die auf seinem „Allgäu Airport“ in Memmingerberg starten und landen. Ralf Schmid, der Geschäftsführer, hat sie hergeholt. An der Wand ein Schreiben von Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU). In einer Art Goldenem Buch hat sich dessen baden-württembergischer Amtskollege Winfried Kretschmann (Grüne) verewigt, als er am 3. August 2011 hier in den Urlaub flog: „Dem schwäbischen Flughafen in Memmingen eine gute Entwicklung“, schreibt er.

Eine Auszeichnung vom Vorzeigegrünen – etwas Besseres kann einem Flughafen kaum passieren. Aber eine gute Entwicklung? Daran gibt es große Zweifel. 2005 hatten sich umliegende Kommunen mit lokalen Unternehmern zusammengetan. Ein Verkehrsflughafen mit internationalen Zielen als Jobmotor – das war die Vision. Aber auch der Flughafen selbst sollte Gewinn machen. Davon ist er weit entfernt. Seit seinem Bestehen macht er jährlich bis zu zwei Millionen Euro Verlust. 2012 lagen die Schulden bei zwölf Millionen Euro.

Dennoch will man expandieren. Die Landebahn soll breiter, die bisher eher einfache Technik aufgerüstet werden, damit noch mehr Flugzeuge auch bei schlechter Sicht landen können. Zudem sollen neue Hallen entstehen. 15,5 Millionen Euro hat der Flughafen veranschlagt. Zehn Millionen hat der Freistaat für den Ausbau zugesagt. 7,5 Millionen Euro sind schon davor geflossen. Alles Steuergeld.

Schmid sitzt in einem Besprechungsraum. Durch das Fenster sieht er die Maschinen über das Rollfeld fahren, genau wie aus seinem Büro. „Ich brauche das“, sagt er. Der gebürtige Schwarzwälder ist Bauingenieur, ein kräftiger Mann mit kurzärmeligem Hemd, schwäbischem Akzent und leichten Augenringen. Schmid hat selbst eine Berufspilotenlizenz, bevor er nach Memmingen kam, baute er den Baden-Airport nahe Karlsruhe mit auf. Ein Macher. Sind schwarze Zahlen hier am Airport überhaupt noch möglich? „Das ist schon unser Ziel, aber das ist natürlich verdammt ambitioniert“, sagt Schmid. Dann seine Gegenfrage: Kann man das überhaupt verlangen? „Kein Mensch stellt bei einer anderen Infrastruktureinrichtung infrage, ob das sinnvoll ist.“

Von dauerhaften Verlusten war man aber Mitte des vergangenen Jahrzehnts noch nicht ausgegangen. Bei 300 000 Flugbewegungen wollte man die Gewinnzone erreichen. Das Projekt hatten mehrere lokale Unternehmer gemeinsam mit Schmid angeschoben. Gemeinsam kauften sie ein 150 Hektar großes Areal in Memmingerberg. Das nahe Memmingen gelegene Gebiet war vormals ein Militärflughafen. 2004 erteilte das Luftamt Südbayern die Zulassung als regionaler Verkehrsflughafen.

Der Flugbetrieb entwickelte sich rasch. 2007 nahm die Fluggesellschaft Tui-Fly den Betrieb auf, zwei Jahre später die irische Ryanair und die ungarische Wizz Air. Ryanair wechselte von Friedrichshafen nach Memmingen. Mancher behauptet, die Betreiber hätten die Billigairline auch dank staatlicher Unterstützung abgeworben. „Schmarrn“, sagt Schmid.

Die Passagierzahlen stiegen rasant – von 170 000 im Jahr 2007 auf 911000 in 2010. Ein Jahr darauf brachen sie kurzzeitig ein, heute liegen sie bei rund 840 000. Doch egal wie viele Passagiere flogen, Verlust machte der Airport immer.

Schmid kann das wortreich begründen. Flughäfen haben immer hohe Anfangsinvestitionen. Das neue Terminal, der neue Tower, die technische Ausrüstung. Zinsen für die hohen Kredite drücken auf die Bilanz. Vor allem aber habe sich das Geschäftsmodell geändert, sagt der Flughafenchef. Anfangs sei man davon ausgegangen, dass vor allem Menschen aus der Region den Airport zum Start in den Urlaub nutzen. Nun zeige sich aber, dass auch viele Auswärtige ankommen. Für Schmid ist das eher schlecht. Flughäfen verdienen normalerweise viel Geld mit Parkgebühren. Wer von außerhalb kommt, bringt aber kein Auto mit. Die Parkplätze in Memmingerberg bleiben leer.

An diesem Punkt knüpft Schmid nun mit seinen Argumenten an. Wenn viele Menschen von außerhalb kommen, sei das zwar für den Flughafen wenig lukrativ, dafür aber umso besser für die Region. Kürzlich hat die Uni Augsburg eine Studie in Schmids Auftrag durchgeführt. Demnach bringt der Flughafen jährlich 150 Millionen Euro nach Bayern. Pro Tag gäben die Gäste 180 Euro aus. „Für den Freistaat ist das ein gutes Geschäft“, meint Schmid.

Doch solche Rechnungen sind umstritten. Eigentlich müsste man den Verlust hinzurechnen. Kegelklubs, die ihren Jahresausflug früher in der Region verbrachten, fliegen nun mit dem Billigflieger nach Mallorca oder nach Andalusien. Und mancher würde wohl auch mit dem Zug oder dem Auto anreisen, gäbe es den Flughafen nicht. Es sei sehr schwer, den volkswirtschaftlichen Nutzen eines Airports tatsächlich nachzuweisen, sagt auch der Direktor des deutschen Instituts für Flughafenwesen, Johannes Reichmuth.

Sicher ist aber, dass so gut wie alle Regionalflughäfen tiefrote Zahlen schreiben. Ähnlich wie in Memmingen ist schon so manches Projekt mit hochfliegenden Träumen inzwischen hart gelandet.

Der Flughafen Augsburg etwa hatte einst ähnliche Pläne wie der Allgäu Airport. Nach hohen Verlusten wurde der Linienverkehr wieder eingestellt. Heute vermarktet sich der Flughafen als „City Airport“. Die Stadt Augsburg muss weiterhin die Verluste ausgleichen. Der Flughafen Hof-Plauen unterhielt auf Bitten örtlicher Unternehmen jahrelang eine Verbindung zwischen Hof und Frankfurt. Der Freistaat unterstützte das mit vielen Millionen Euro – bis die Sache dann doch irgendwann nicht mehr vermittelbar war.

Der Flugplatz Ingolstadt-Manching ist da eine der wenigen Ausnahmen. Die zivile Betreibergesellschaft macht nach eigenen Angaben sogar Gewinn. Sie profitiert von einem regen Flugverkehr der Autoindustrie um den Audi-Konzern. Vor allem aber hat sie kaum Investitionskosten, weil sie die vorhandene Infrastruktur der Bundeswehr nutzen kann.

Insgesamt hat der Freistaat die Regionalflughäfen in den vergangenen 15 Jahren mit 30 Millionen Euro bezuschusst. Immer mit dem Argument, dass jede Region Bayerns an den Flugverkehr angebunden sein müsse. Zehn Millionen kommen nun hinzu – für den Ausbau im Allgäu. Von den Verlusten will man sich dort nicht irritieren lassen. Der Ausbau soll wie geplant kommen.

Schon seit Gründung des Flughafens gibt es in der Region allerdings eine rege Protestinitiative. Den Bürgern geht es um Fluglärm, Umweltzerstörung – und um die Kosten. Keine zehn Kilometer vom Flughafen entfernt wohnt Dieter Buchberger mit seiner Familie. Buchberger ist Wirtschaftsprofessor und Chef der Bürgerinitiative. Er glaubt nicht an einen großen regionalen Nutzen durch den Flughafen. Dass auswärtige Besucher pro Kopf täglich 180 Euro ausgeben, hält er für viel zu hoch gegriffen. Die Zuschüsse des Freistaats findet er falsch. „Da wird richtig Geld vernichtet“, sagt Buchberger.

Die Gründungsunternehmer des Flughafens seien dagegen auch bei einer Pleite fein raus, meint er. Das Areal in Memmingerberg konnten sie seinerzeit günstig kaufen. Für 1,50 Euro pro Quadratmeter, munkelt man in der Region. Auf dem freien Markt liegen die Preise um ein Zigfaches höher. Macht der Flughafen dicht, meint Buchberger, bliebe ihnen also immer noch ein lukratives Gewerbegrundstück.

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