Dingolfing
Frust, Gewalt und schwindende Kräfte

Flüchtlingskrise: Dingolfings Landrat Trapp wendet sich mit unverblümtem Schreiben an Sigmar Gabriel

04.11.2015 | Stand 02.12.2020, 20:35 Uhr

Dingolfing (DK) Die Flüchtlingskrise beschäftigt nicht nur die große Politik. Auch und gerade in den Landratsämtern Bayerns wird verzweifelt gearbeitet, um die Massen von Asylsuchenden zu verteilen und unterzubringen. Ein Landrat wendet sich nun an Berlin – mit drastischen Worten.

Der Brief Heinrich Trapps (kl. Foto), SPD-Landrat von Dingolfing-Landau, an seinen Parteivorsitzenden und Vizekanzler Sigmar Gabriel, ist das wohl verzweifeltste, offenste und kritischste Schreiben, das bisher ein Kommunalpolitiker in der Flüchtlingskrise verfasst hat. Vieles, was dort über das Verhalten der Asylbewerber zu lesen ist, wird einigen Befürwortern weiterer Migration nicht gefallen. Er wende sich an den „lieben Sigmar“, so beginnt das Schreiben, das unserer Zeitung vorliegt, mit der dringenden Bitte, beim heutigen Koalitionsgipfel zu einer Einigung zu kommen. Der rasante Anstieg der Flüchtlingszahlen sei zurückzuführen „auf die generöse Asylpolitik der Bundesrepublik Deutschland“.

Man habe „Menschen nach Deutschland gelockt – oder zumindest den Anlass dafür gegeben –, die auf einem niedrigeren Lebensstandard in Nachbarstaaten Syriens auch nicht um Leib und Leben fürchten mussten“, so Trapp. Deutschland kümmere sich um Syrer, die in Dubai als Schneider arbeiteten und von dort nach Deutschland gekommen sind, weil sie sich ein besseres Leben erwarten.

Es ist nicht das Schreiben eines Populisten. Heinrich Trapp ist 64 Jahre alt, er steht im Herbst seines politischen Lebens, bestreitet gerade seine fünfte Amtszeit als Landrat. Obendrein stammt er aus dem ländlichen Niederbayern – einem Landstrich, dessen Bewohner nicht gerade für ein überschäumendes Temperament und rhetorische Schnellschüsse bekannt sind. Er ist studierter Grund- und Hauptschullehrer, Sozialdemokrat alter Schule, der vor dem Wechsel in die Kreispolitik auch eine Legislaturperiode als Abgeordneter im Bayerischen Landtag saß.

Vieles hat Heinrich Trapp in seiner Laufbahn – seit vergangenem Jahr ist er der dienstälteste Landrat des Freistaats – erlebt, nicht zuletzt die beiden schlimmen Hochwasser 2002 und 2013. Doch die Flüchtlingskrise stellt alles in den Schatten, was sich zuvor in einem Vierteljahrhundert Verwaltungspraxis ereignete.

Klagen über die schwindenden Kräfte der freiwilligen Helfer, die kaum noch zu bewältigenden logistischen Probleme, den wachsenden Unmut in der Bevölkerung – sie sind mittlerweile nicht mehr neu in den verzweifelten Appellen von Kommunalpolitikern an den Bund. Neu im Text von Heinrich Trapp aber ist die deutliche und präzise Kritik – auch an den Flüchtlingen. Diese galten bisher ausschließlich als unschuldige Opfer schlimmer Umstände. Gab es unschöne Vorfälle in den Heimen, dann lautete die öffentliche Behördenrichtlinie gegenüber der Bevölkerung, dass diese sämtlich als „Einzelfälle“ zu gelten haben.

Doch was der Dingolfinger Landrat schreibt, macht sprachlos – etwa der Frust der Ehrenamtlichen, „wenn sie von ungeduldigen und uninformierten Migranten angegangen und belogen werden. Viele stellen Forderungen und benehmen sich nicht wie Gäste“, erzürnt sich Trapp in seinem Schreiben. Auch untereinander herrsche ein brutales Verhalten, beispielsweise „wenn Syrer die Pakistani oder Schwarzafrikaner als Menschen zweiter Klasse behandeln“. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Menschen die deutsche Sprache erlernten, meint Trapp, sei eher gering.

Fast flehentlich geraten die letzten Zeilen im Schreiben des SPD-Politikers an seinen Parteivorsitzenden: „Kannst Du mir sagen, wie wir diese Probleme lösen können und ob diese Themen im Berliner Tagesgeschäft eine Rolle spielen“ Sigmar Gabriel hat gestern erneut die vom Bayerischen Landkreistag unterstützten Transitlager abgelehnt. Foto: Kneffel/dpa