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Von der Honoratioren- zur Massenpartei

11.08.2013 | Stand 02.12.2020, 23:48 Uhr

 

Der Bann war gebrochen, die CSU auf ihrem Weg zur Alleinherrschaft zwar noch nicht am Ziel, aber nicht mehr aufzuhalten. Mit der Wahl am 23. November 1958 hatte die CSU ihre bis dahin größte politische Niederlage ausgemerzt, die sie nach dem Urnengang vier Jahre zuvor hatte einstecken müssen: Obwohl die Partei bei der Wahl 1954 unter Hans Ehard die meisten Stimmen erhalten hatte, blieb ihr nur der Platz auf den Oppositionsbänken. Die Regierung stellte ein Zusammenschluss von SPD, Bayernpartei, FDP und BHE (Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten); eine Viererkoalition, die CSU-Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard mit markigen Worten als „volksfremde Staatsstreichregierung“ und „widernatürliche Unzucht“ beschimpfte.

Doch war die CSU selbst nicht schuldlos am Verlust der Macht im Freistaat. Denn sie war mit Flügelkämpfen sowie internen Bestrebungen, Ehard als Ministerpräsidenten und Parteivorsitzenden abzusetzen, mit sich selbst beschäftigt.

Inhaltlich allerdings einte die Viererkoalition unter Ministerpräsident Wilhelm Hoegner (SPD) nicht allzu viel. Zwar war die Koalition im Gegensatz zur CSU für eine Entkonfessionalisierung des bayerischen Schulwesens, doch damit war dann im Großen und Ganzen auch schon Schluss mit den Übereinstimmungen. „Die einzige wirkliche Gemeinsamkeit der Viererkoalition bestand in der Frontstellung gegenüber der CSU“, schreibt der Historiker Karl-Ulrich Gelberg.

Diese Front als letzte Gemeinsamkeit ist spätestens dann aufgebrochen, als die Bayernpartei mit der Bundestagswahl vom 15. September 1957 bundesweit in die Bedeutungslosigkeit versinkt. Um einem ähnlichen Schicksal in Bayern zu entgehen, sucht BP-Vorsitzender Joseph Baumgartner die Annäherung an die CSU. Der GB/BHE folgt und tritt am 8. Oktober 1957 aus der Viererkoalition aus. Hoegner erklärt noch am gleichen Abend seinen Rücktritt.

Aus den folgenden Verhandlungen geht eine Koalition aus CSU,GB/BHE, BP und FDP hervor, die am 16. Oktober 1957 den CSU-Vorsitzenden Hanns Seidel zum Ministerpräsidenten wählt. Ein Jahr später, bei der Landtagswahl am 23. November 1958 kommt dann der Durchbruch: Die CSU erreicht 45,6 Prozent der Stimmen, auch die SPD kann einen Zuwachs verbuchen und kommt auf 30,8 Prozent, während alle anderen Parteien verlieren. Vor allem die Bayernpartei und die FDP müssen Federn lassen. Auf Grund der Mehrheitsverhältnisse (von den 204 Landtagsmandaten erhält die CSU 101, die SPD 64, GB/BHE 17, die BP 14 und die FDP acht) ist die CSU auf eine Koalition angewiesen, die sie mit GB/BHE und FDP eingeht. Dieser Regierungswechsel markiert den entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte der CSU: Die alte Honoratiorenpartei wandelt sich zu einer „Massen- und Apparat-Partei modernen Zuges“ (Karl-Ulrich Gelberg).

Diese Veränderung erfolgt auf zwei Ebenen: auf der organisatorischen und auf der inhaltlichen. Das Ausscheiden aus der Regierung 1954 deckt die massiven organisatorischen Probleme auf. Ein kleiner Führungszirkel hält die Fäden in der Hand, etwaige Neumitglieder werden nicht als Bereicherung gesehen, sondern als mögliche Konkurrenten. Der Historiker Jaromir Balcar zitiert in seiner Studie „Politik auf dem Land“ aus einem Parteibrief dieser Zeit: „In einigen Fällen war es so, dass der Ortsobmann (...) es als Zumutung empfand, wenn ihm die Abhaltung einer Versammlung nahegelegt wurde“. Vor allem der spätere Innenminister Friedrich Zimmermann, der 1955 Hauptgeschäftsführer der CSU wird, marschiert beim Kampf um eine Modernisierung des Parteiapparats voran. Auf ihn geht die Idee zurück, Geschäftsstellen mit hauptamtlichen Mitarbeitern zu installieren, was die Struktur der CSU auf Jahrzehnte kräftigt.

Gleichzeitig modernisierte sich die CSU inhaltlich. Die schärfsten Vertreter des konservativ-katholischen Flügels um Landtagspräsident Alois Hundhammer, deren Kurs Franz-Josef Strauß als „selbstmörderisch für die CSU“ bezeichnet, geraten ins Abseits. Die neu eingeschlagene liberalere, überkonfessionelle Marschroute stemmt sich auch gegen die SPD-Kampagne „Licht fürs Land“, die sich unter anderem gegen den Katholizismus wendet. Nun präsentiert sich auch die CSU nicht mehr so einseitig katholisch, wie das nach dem Krieg der Fall war.

Darüber hinaus gelingt es der CSU auch noch, den alten Konkurrenten, die Bayernpartei, endgültig auszustechen. Deren Anspruch, „einzig wirklich bayerische Partei“ zu sein, traf die CSU auf ihrem Weg zur Volkspartei ins Mark. Noch in der gemeinsamen Regierung unter Hanns Seidel, der sich 1955 noch in einer Kampfabstimmung gegen Franz-Josef Strauß als Parteivorsitzender durchgesetzt hat, und mit Otto Schedl als Wirtschaftsminister, wetzen die Christsozialen die Messer gegen die Bayernpartei.

Den Dolchstoß versetzt der Bayernpartei die sogenannte Spielbankaffäre. Angeblich sollen BP-Funktionäre bei der Vergabe der „zur Hebung des Fremdenverkehrs in Bayern“ neu eingerichteten Spielbanken die Hand aufgehalten haben. In einem aufsehenerregenden Prozess mit teilweise dubiosen Hintergründen werden die ehemaligen BP-Minister Joseph Baumgartner und August Geislhöringer zu Zuchthaus und Gefängnis verurteilt, Baumgartner wird noch im Gerichtssaal verhaftet. Gerüchte, Teile der CSU hätten bei der Affäre mitgemischt, um der Bayernpartei zu schaden, wollen bis heute nicht verstummen. Für die Bayernpartei war es jedenfalls der Anfang vom Ende, für die CSU ein Meilenstein auf dem Weg zur bayerischen Hegemonialpartei.

 

Am Mittwoch geht es um die Wahl 1962: Der Beginn der Ära Goppel.