Denkendorf
Schreie, Schweiß und Schminke

18.07.2010 | Stand 03.12.2020, 3:51 Uhr

 

Denkendorf (DK) Aus dem Tunnel dringen Schreie nach draußen. Kurz darauf kommen schon die ersten Feuerwehrleute aus der düsteren Röhre. Auf den Bahngleisen schieben sie Rollwägen mit Verletzten. Einem läuft Blut aus dem Ohr, ein anderer hält sich den Arm. "Aua, das tut so weh!", schreit er. Die Feuerwehrleute atmen behäbig unter ihren schweren Schutzmasken.


So könnte es aussehen, wenn im Irlahüll-Tunnel zwischen Denkendorf und Kinding ein Zugunglück passiert. In der Nacht zu gestern simulieren die Organisationen des Katastropheschutzes den Ernstfall allerdings nur. Der Tunnel mit mehr als sieben Kilometern ist der zweitlängste auf der neuen ICE-Strecke zwischen Ingolstadt und Nürnberg, die vor vier Jahren eröffnet wurde. Bei einem Unfall in der Röhre ist die Arbeit für die Sicherheitskräfte besonders schwer. Innenminister Joachim Herrmann, der den Einsatz begleitet, gab deshalb den Auftrag, den Ernstfall zu erproben. Mehr als 300 Einsatzkräfte von Feuerwehren, Notdiensten, Polizei und Technischem Hilfswerk wollen ihre Zusammenarbeit ausprobieren. 85 Schauspieler mimen die Zugpassagiere.

Um 0.38 Uhr ist in der integrierten Leitstelle in Ingolstadt der Notruf eingegangen: "Kollision mit unbekanntem Gegenstand, vermutlich verletzte Fahrgäste an Bord", lautet die Durchsage. Seitdem sind die Sicherheitskräfte im Einsatz. Im normalen Betrieb rast ein ICE mit einer Geschwindigkeit von bis zu 300 Stundenkilometern durch den Irlahüll-Tunnel.

An allen sechs Notausgängen haben sich die örtlichen Feuerwehren postiert und die Löschwasserleitungen angezapft. Auch das müsse dringend getestet werden, sagt der Einsatzleiter. Im Tunnel werden weitere Verletzte geborgen. Dichter Qualm dringt aus dem Zug, ein Mann hat die Orientierung verloren. "Bin ich hier in Nürnberg", ruft er in die Dunkelheit. Mit Schweißperlen auf der Stirn eilen Feuerwehrleute umher. Bei einer Katastrophe sind sie stets die ersten, die in den Tunnel gehen. Erst wenn keine Gefahr mehr durch Rauchgase besteht, können Notärzte nachrücken.

Die unverletzten Passagiere haben sich schon durch einen Notausgang in Sicherheit gebracht. Einen Kilometer vom Südportal entfernt sind sie durch einen Schacht ins Freie gestiegen. Nun sitzen sie in einem Zelt, draußen vor dem Ausgang. Bei einer echten Katastrophe würden sie psychologisch betreut, ihre Personalien würden aufgenommen. Auch Sanitäter sind vor Ort.

Gegen drei Uhr ist der Einsatz vorbei. In Kipfenberg, wo die Einsatzleitung stationiert ist, wird die gelungene Übung mit Bier und Würstchen gefeiert. Auch Innenminister Herrmann ist zufrieden. Auch wenn die Analyse noch einige Zeit dauern wird. Er freue sich vor allem über den Einsatz der vielen ehrenamtlichen Helfer, sagt der Minister. "Auch wenn ich uns allen wünsche, dass wir den Ernstfall nie erleben."