Berlin
Personenkult oder gut gesetzte Themen?

16.07.2017 | Stand 02.12.2020, 17:47 Uhr

Berlin/Ingolstadt (DK) Es ist erst wenige Monate her, dass man wahrhaft in Sorge um die Demokratie sein musste. Politikverdrossenheit machte sich breit. In den USA enterte Donald Trump nach einem verstörenden Wahlkampf das Weiße Haus. Und Europa schien von Rechtspopulisten überrannt zu werden. Diese Entwicklung hat aber auch dazu geführt, dass sich viele Menschen wieder stärker mit der Politik beschäftigen und auch engagieren wollen. Und in dieses Umfeld platzte Martin Schulz.

Am 29. Januar dieses Jahres wurde der ehemalige Präsident des EU-Parlaments vom Vorstand der SPD zum Kanzlerkandidaten gekürt. Dies war zugleich der Tag, an dem sich Lukas Westner entschloss, ein Sozialdemokrat zu werden und dem Ortsverein Pfaffenhofen beizutreten. "Die SPD kam meiner Einstellung schon immer am nächsten - und Martin Schulz war der berühmte letzte Tropfen im Fass", sagt der 29-Jährige aus der Nähe von Pfaffenhofen. Es gebe drängende Zukunftsfragen, für die man Lösungen finden müsse. "Und deshalb darf man nicht denen das Wort überlassen, die destruktive Antworten geben", so Westner. Für ihn ist vor allem Schulz' Erfahrung in der Europäischen Union wichtig. "Martin Schulz kennt das Potenzial, das in Europa liegt."

Auch der 19-jährige Adrian Schurius ist Mitglied im Pfaffenhofener Ortsverein. "Als Schulz zum Parteichef wurde, bin ich direkt zur Geschäftsstelle gegangen", sagt er. Schulz habe eine ganz eigene Art zu reden, Dinge anzusprechen. Außerdem sei er ein frisches Gesicht in der Bundespolitik gewesen, so Schurius. "Und Sigmar Gabriel hat sicherlich gute Arbeit geleistet - aber er war am Ende nicht mehr der Richtige."

So oder so ähnlich sehen es sicher nicht nur die neuen Genossen aus Pfaffenhofen. Gabriel als abgearbeiteter Parteisoldat auf der einen Seite, Schulz als Verkörperung des Aufbruchs und Verfechter neuer Themen auf der anderen. Der SPD-Chef hat gerade zu Beginn seiner Zeit in der Bundespolitik viele junge Menschen begeistert. Damit steht er in einer Reihe mit anderen linken Hoffnungsträgern. Unter ihnen findet sich etwa der britische Labour-Chef Jeremy Corbyn, der als totaler Querdenker und Visionär gilt, oder der demokratische US-Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders. Er scheiterte zwar im vergangenen Jahr bei den Vorwahlen an Hillary Clinton, begeisterte aber Hunderttausende junger Menschen mit radikal-sozialen Themen und Thesen. Überhaupt, die Themen: Auch im Falle von Martin Schulz fällt auf, dass sich die neuen und jungen Mitglieder der SPD intensiv mit Inhalten auseinandergesetzt haben, bevor sie der Partei beigetreten sind. Die Figur Martin Schulz war also keineswegs der alleinige große Anziehungspunkt.

Das meint auch Nadja Saadati. Sie ist die Vorsitzende der Jusos im Landkreis Eichstätt und als solche viel mit Neu-SPDlern zusammen. Die 26-Jährige sagt, sie sei schon immer engagiert gewesen und wollte sich auch in einer Partei einbringen. "Es ging mir um die klassischen Grundüberzeugungen in der SPD", sagt sie und ergänzt, diese seien soziale Gerechtigkeit und ethische Standards. Dafür wolle sie sich einsetzen, und eben genau dafür stehe in ihren Augen Martin Schulz - "und das authentisch".

Saadati ist bereits seit 2014 in der SPD, hat also auch die Stimmung unter Ex-Partei-Chef Sigmar Gabriel miterlebt. Sie ist sich daher sicher, dass innerhalb der SPD der Hype um den neuen Parteichef noch lange nicht vorbei ist: "Schulz steht noch immer für etwas und kann einen mitreißen", sagt sie. Saadati, die Schulz schon selbst im Willy-Brandt-Haus in Berlin erlebt hat, mag vor allem die Vita des Mannes aus Würselen. Dass der Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten keinen mustergültigen Lebenslauf hat, privat durch Höhen und Tiefen gegangen ist, findet sie nicht dramatisch - im Gegenteil.

Alles also eitel Sonnenschein in der Welt der neuen SPD-Mitglieder? Nicht ganz. Dass der Heilsbringer noch nicht alles verändern konnte, ist den jungen Anhängern bewusst. Der 23-jährige Justus Buss aus Ingolstadt beispielsweise ist seit einem halben Jahr in der SPD und hofft, dass Martin Schulz seine Themen Gerechtigkeit und Europa noch mehr in die Köpfe der Menschen bringen kann. "Die SPD muss einfach wieder mehr zu ihren Stärken stehen", sagt das Jung-Mitglied.

Und auch Nadja Saadati aus Eichstätt findet nach einiger Überlegung einen Punkt, der ihr mit Blick auf die Wählergunst Sorge bereitet: die bisherigen Stationen von Martin Schulz in der Politik. Bisher war er auf kommunaler Ebene in seiner Heimatstadt Würselen und im EU-Parlament tätig. Im Berliner Bundestag kennt er sich nicht aus, hat noch nie die dortigen Abläufe erlebt. "Ich denke, das kann eine Schwäche sein", sagt die 26-Jährige und schiebt dann nach: "Genau wie es eine Chance sein kann."