Bayern
"Ich gebe zu: Ich bin etwas ergriffen"

16.03.2018 | Stand 02.12.2020, 16:41 Uhr

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Bayern hat wieder einen Regierungschef. Drei Tage nach Horst Seehofers Rücktritt als Ministerpräsident wählte der Landtag dessen Rivalen, den Mittelfranken Markus Söder, zu seinem Nachfolger. Der 51-Jährige hat klare Vorstellungen, was sich künftig ändern muss.

München (DK) Kaum, dass er gewählt und vereidigt war, gab Markus Söder (CSU), der neue bayerische Ministerpräsident, den Lausbuben: Statt sofort zur Dankesrede ans Pult zu treten, wie es das Protokoll eigentlich vorsieht, nahm er, als könnte er es nicht erwarten, im Plenarsaal des Landtages auf der Regierungsbank Platz. Auf dem vordersten Stuhl. Dem des Ministerpräsidenten. Und ein beglücktes Lächeln stahl sich in sein Gesicht. Es dauerte nur Sekunden, da war nichts inszeniert, das war echt. Söder ist angekommen, endlich.

€ƒAls ihm Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) bedeutet, dass jetzt zu reden, nicht zu sitzen sei, trat er dann freilich doch ans Rednerpult - im Landtag hat Stamm das Sagen, nicht der Ministerpräsident. "Was für ein Tag! Ich gebe zu: Ich bin etwas ergriffen", begann Söder. In seiner kurzen Rede, die nicht die erste Regierungserklärung vorwegnehmen, sondern nur eine kurze Dankesrede sein sollte, sagte Söder, es gelte, die Einzigartigkeit und den liebenswerten Charakter des Landes sowie seine christlich-abendländische Prägung und seine humanistischen und jüdischen Wurzeln zu erhalten. "Bayern erwarten von ihrer Führung mehr als andere", sagte Söder und verband dies mit dem Versprechen, in seinem neuen Amt hart zu arbeiten. Das Motto dabei müsse sein: "Wir sind für die Bürger da, nicht die Bürger für uns." Als größte Herausforderungen nannte er die "lautlose Revolution der Digitalisierung, bei der wir erst am Anfang stehen".

Vor der Wahl sah die Tagesordnung des Landtags eine kurze Aussprache vor. Die allerdings geriet zu einer bisweilen harten Auseinandersetzung zwischen Opposition und CSU.

Für die SPD sagte Parteivorsitzende Natascha Kohnen: "Bayern kann nur ein starkes Land bleiben, wenn die Demokratie stark ist. Hier aber habe ich Sorge." Viele Menschen im Land hätten sich von der Politik abgewendet. Diese könne man nur zurückgewinnen, wenn man ehrlich und sachlich Politik mache. Der Stil, mit dem Politik betrieben werde, habe unmittelbar Einfluss auf die Gesellschaft. Die größte Verantwortung im heraufziehenden Wahlkampf habe deshalb Söder, weil er die größte Macht und Aufmerksamkeit genieße, so Kohnen. Er könne die Demokratie stärken - oder ihr großen Schaden zufügen. Ein guter Ministerpräsident habe die Souveränität, gute Vorschläge der Opposition umzusetzen - statt sie wie in der Vergangenheit immer wieder erst abzulehnen, dann umzuformulieren, um sie schließlich als eigenen Entwurf neu einzubringen.

Harsche Kritik übte die SPD-Chefin auch an Söders Vorgänger, Horst Seehofer. Statt eine klare und geradlinige Politik zu machen, habe der einen "Zickzack-Kurs" gefahren und zahlreiche "Wendemanöver" vollbracht - und zwar nicht auf der Suche nach den besten Lösungen für die Menschen im Land, sondern aus rein taktischen Gründen.

Ludwig Hartmann, Fraktionschef der Landtags-Grünen, sagte angesichts der derzeitigen Umfrageergebnisse, die die CSU im 40-Prozent-Bereich sehen, "wir erleben zum letzten Mal in der bayerischen Geschichte einen Ministerpräsidenten, der mit der absoluten Mehrheit der CSU gewählt wird". Hartmann, an die CSU-Fraktion gewandt: "Genießen Sie den Augenblick." Er sieht in der CSU einen "rückwärts gewandten Konservativismus", der überholt sei. "Es ist gut, wenn Sie nicht mehr alleine regieren - weil unser Land eine politische Erneuerung braucht. Wer dabei auf die CSU wartet, kann lange warten."

Der Chef der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, berichtete von Menschen, die er in den letzten Tagen getroffen habe, und ihren Problemen. Etwa von dem Hausarzt, dessen Sohn ebenfalls Arzt sei, aber die väterliche Praxis nicht übernehmen wolle und stattdessen lieber im Pharmabereich arbeite. Von der Realschulreferendarin, die trotz Lehrermangels mit einem Zeitvertrag nach dem anderen abgespeist werde. Vom Kleinkraftwerkbetreiber, der das Branchensterben hautnah miterlebe. Dem Gastwirt, dessen Betrieb auf das 13. Jahrhundert zurückgehe, der sich aber jetzt mit dem Gedanken auseinandersetze, aufzuhören. Das alles sei der Mittelstand, sei Heimat, seien Menschen, so Aiwanger. Diese Menschen würden sich fragen, "kümmern die da oben sich um uns? Oder tun die nur so" All dies seien "Entwicklungen, die man entweder anpacken oder aber schönreden kann", so Aiwangers konkreter Vorwurf an die CSU. Vor der Landtagssitzung hatte Aiwanger gleichwohl klar gemacht, dass er Söder persönlich nicht ablehne - wenn es nach der Landtagswahl im Herbst zu einer Koalition aus CSU und Freien Wählern komme, werde er Söder selbstverständlich als Ministerpräsidenten wählen.

CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer ging nach der Aussprache noch mal ans Rednerpult und erklärte, dass diese Woche im Berliner Reichstag auch die Bundeskanzlerin gewählt worden sei - und zwar ohne vorherige Aussprache. "Eine kluge Regel der Väter und Mütter des Grundgesetzes, wenn man die heutige Debatte betrachtet."

Bei einer weiteren Sondersitzung des Landtags am kommenden Mittwoch will Söder sein neues Kabinett vorstellen, das anschließend gewählt und vereidigt werden soll. Das derzeitige Kabinett ist nach dem Rücktritt von Horst Seehofer nur noch geschäftsführend im Amt. Zum einen muss Söder eine Umbesetzung vornehmen, die groß genug ist, um eine eigene Handschrift zu signalisieren. Andererseits wäre eine zu große Umbildung im heraufziehenden Landtagswahlkampf kontraproduktiv: etwa, weil dies in der Regel mit längeren Einarbeitungs- und Organisationszeiten verbunden ist, und weil diejenigen, die mit einem Platz am Kabinettstisch rechnen, sich durch eine Nichtberufung in ihren politischen Zukunftschancen eingeschränkt sehen und nur halbherzig in den Landtagswahlkampf ziehen könnten.

Zwei Minister, die ohnehin zum Ende der Legislaturperiode aufhören wollen, sind Landwirtschaftsminister Helmut Brunner sowie Sozialministerin Emilia Müller - ihre Positionen könnte Söder jedenfalls ohne größere Verletzungen neu besetzen. In jedem Fall neu regeln muss er die eigene Nachfolge im Finanzministerium.