Erdgasautos
Wie Erdgasautos Flügel bekommen

Wenn die Motoren tatsächlich nur auf Erdgas ausgelegt werden, könnten sie leistungsfähiger und sparsamer sein

21.07.2015 | Stand 02.12.2020, 21:00 Uhr

Erdgasautos kommen bei uns nicht in Fahrt, obwohl es kleine und auch günstige wie den Seat Mii gibt. Ihr Anteil an den Neuzulassungen liegt im Promillebereich. Kaum verständlich: Denn Erdgas kann die Betriebskosten gegenüber Benzin fast halbieren, gegenüber Diesel lässt sich immerhin ein Drittel sparen.

Den größten Nutzen aber bringen Erdgasmotoren für die Umwelt: Bei ihnen gibt es keine Partikelemissionen, keine Stickoxide – und viel weniger CO2. Nicht umsonst gelten für Erdgas (wie für Flüssiggas) stark ermäßigte Steuersätze – die sogar jüngst über 2018 hinaus verlängert wurden.

Erdgas – chemische Formel CH4 – enthält weniger Kohlenstoff und mehr Wasserstoff als Benzin oder Diesel. Weniger Kohlenstoff erzeugt beim Verbrennen weniger CO2, mehr Wasserstoff führt zu mehr Wasser. Dieses kann nach dem Kaltstart manchmal kurz als weißes Dampfwölkchen sichtbar werden.

Für die kommende CO2-Grenze – 95 Gramm pro Kilometer ab 2021 – wird der niedrigere CO2-Ausstoß von Erdgasautos extrem interessant. Schon heute begnügt sich ein Golf TGI (110 PS) mit 94 Gramm pro Kilometer. Beim Benziner gleicher Leistung sind es 114 Gramm. Noch größer ist der Unterschied zum Beispiel beim Doblo-Siebensitzer von Fiat: 134 Gramm in „Natural Power“-Version, 169 Gramm beim gleich starken Benzinmotor.

In Zukunft werden die Unterschiede weit größer. Der Kolbenspezialist Mahle, gleichzeitig ein wichtiger Entwicklungspartner der Automobil- und Motorenindustrie, verspricht nicht weniger als eine völlig neue Generation von Erdgasmotoren. Sie werden mehr Leistung bieten, mehr Drehmoment, aber gleichzeitig einen deutlich niedrigeren Verbrauch. Der Trick dabei ist so simpel wie wirksam: Die neuen Motoren werden „monovalent“ ausgelegt.

Dies bedeutet, dass die neuen Autos ausschließlich mit Erdgas fahren. Der Fahrer kann sich nicht mehr mit Benzin behelfen, wenn gerade keine Erdgastankstelle erreichbar ist. Dafür aber vermeidet der Konstrukteur alle Kompromisse, die er eingehen muss, damit sein Motor auch mit Benzin laufen kann.

Erdgas hat eine viel höhere Oktanzahl als selbst das teuerste Superbenzin. Sie ermöglicht ohne Klopfgefahr einen früheren Zündzeitpunkt und vor allem ein viel höheres Verdichtungsverhältnis. Dieses erhöht den Wirkungsgrad, steigert also Leistung und Drehmoment. Der Verbrauch sinkt. Ein Katalysator wie beim Benzinmotor sorgt für einen sauberen Auspuff ohne Stickoxid- und Partikelprobleme. Höhere Drücke und höhere Temperaturen belasten allerdings das Material stärker. Die Konstruktion muss entsprechend kräftiger ausgeführt werden. Im Diesel sind diese Anforderungen freilich noch höher.

Erdgas-Triebwerke arbeiten längst „downgesizt“ mit Turbo und kleinem Hubraum. Fahrer bemängeln heute manchmal weniger Drehmoment als bei einem in der Leistung vergleichbaren Benzinmotor, das erst bei höheren Drehzahlen zur Verfügung steht. Mit einem in seiner Geometrie variablen „VTG“-Lader lässt sich dies beheben. Solche Lader sind längst Standard beim Diesel, ihnen wird auch bei Benzin und Erdgas eine große Zukunft vorausgesagt. Ein Mahle-Versuchsmotor mit einem solchen VTG-Lader zeigt, dass Erdgasautos regelrechte Flügel bekommen können: drei Zylinder, 1,2 Liter Hubraum, 180 PS, 270 Nm ab 1600 Umdrehungen pro Minute. Eingebaut ist er in einem VW Touran: CO2-Ausstoß 106 Gramm – 31 Prozent weniger als im Serienmodell.

Einziger Wermutstropfen: Bis die neue Technik in die Serie kommt, wird noch einige Zeit vergehen. Wer heute schon vom Erdgasauto mit seinen niedrigen Kraftstoffkosten träumt, sollte vielleicht noch etwas warten. Bis dahin wird vielleicht auch das dünne Tankstellennetz dichter. Denn zur Not auch einmal mit Benzin fahren – das können die neuen Erdgasautos nicht mehr. DK