Sinning
Klartext gegen den Turbokapitalismus

Kabarettist Claus von Wagner prangert die unendliche Gier an und hält sich dabei nicht lang mit Muttiwitzen auf

13.10.2015 | Stand 02.12.2020, 20:41 Uhr

Bestes politisches Kabarett: Claus von Wagner in der Schlosswirtschaft in Sinning. - Foto: Heumann

Sinning (lm) Richtig lieb, der Junge mit seinem Schlumpfeis samt Sahnehäubchen, der sich als quasi dramaturgische Klammer durchs Programm zieht. Und der unausstehlichen Society-Zicke gibt er gar den schier schon zärtlichen Kosenamen „Lachsröllchen“. Hat was von intellektuell mentalem Vernaschenwollen an sich.

Soll Claus von Wagner im zweiten Teil seines Dauerbrenner-Programms über die „Theorie der feinen Menschen“ glatt gnädig, gar melancholisch geworden sein? Aber ist der nette Bub, der ein bisschen auch Klein-Claus ist, im Grunde nicht reichlich traumatisiert von seinem Vater her, von dem nie ganz so klar wird, ob er nun mehr Opfer oder Mitläufer im System Deutsche Bank war. Spätestens da ist Claus von Wagner wieder bei seinem Lieblings-Feindbild, dem Turbokapitalismus und dessen nationalem Leuchtschiff Deutsche Bank. Und doch ist die Wirklichkeit immer noch schlimmer als das gnadenloseste Kabarett, etliche Originalzitate aus der realen Bankenwelt belegen dies knüppelhart. Die Sinninger Initiative gegen Rechts ist eigentlich genau das richtige Umfeld für solch ein Programm, aber auch das lernt man ja an diesem Abend: „Eigentlich“ meint halt oft das Gegenteil vom Gesagten, womit man ganz unvermittelt beim letzten Wahlergebnis angekommen wäre.

Aber das mit den Opfern und den Mitläufern ist auch nicht so einfach, erzählt Claus von Wagner ja, und noch das unschuldige Schlumpfeis hat eine zweite, ganz andere Seite, wenn’s dem Buben danach wieder mal g’scheit schlecht geworden war.

Zwischen all dem schmerzlich lustigem Befindlichkeits-Getöse, das reichlich die Szene überschwemmt, pflegt Claus von Wagner eine unverblümt klare Sprache, spricht Klartext, macht wirklich noch politisches Kabarett. Dieses hält sich höchstens zwei Minuten bei irgendeinem „Mutti“-Witzchen auf – auch zu reizvoll, wäre Angela Merkel vielleicht mit einem 17-jährigen Marokkaner das nämliche wie Silvio Berlusconi „passiert“ – und wird dann fundamental in seiner oft auch literarisch delikaten System-Kritik. Die Befunde fallen kurz wie bündig aus, Beispiel eins: „Wir leben nicht über unsere Verhältnisse, wir versteuern nur unter unseren Lebensverhältnissen.“ Beispiel zwei: „Vor welchen Flüchtlingen wir uns wirklich fürchten sollten, sind unsere Steuerflüchtlinge.“

Die Gier und die Gewinne sind nun mal eng Verwandte, und „nur wer wächst, ist lebendig“, wusste schon Philipp Rösler, der ob genau dieser Erkenntnis dann auch die längste Zeit schon Vorsitzender der FDP war. Was sind das auch für Zeiten und Zeitbefindlichkeiten, wo die Finanzmärkte im tagtäglichen Sprachgebrauch längst vermenschlicht wurden, sie mal nervös reagieren und dann wieder enttäuscht sind. Und wo’s gerade schon so menschelt, passt wunderschön auch das Bild des nach der 30 Prozent-Männerquote nun in einer Kita arbeitenden Ex-Bank-Chefs Ackermann; die Kinder jedenfalls wären begeistert von ihm: „Niemand verkörpert die Raupe Nimmersatt besser.“