Schrobenhausen
Symbiose aus Kunst und Lektüre

Ausstellung "Im Tal der Waisenkinder" in der Galerie des Kunstvereins eröffnet

22.04.2013 | Stand 03.12.2020, 0:14 Uhr

Der ehemalige Neuburger Kulturreferent Dieter Distl (Foto l., l.) führte in die Ausstellung über das Werk Hubert Fichtes ein. Die Prägung durch das Waisenhaus ziehe sich durch sein gesamtes Lebenswerk, sagte er. Rechts die bemalte Gipsskulptur „Waisenkind“ von Steffi Laquai - Fotos: De Pascale

Schrobenhausen (SZ) Kunst und Lektüre bilden gern spannende Symbiosen – Schrobenhausener Künstler ließen sich jetzt von dem Roman „Das Waisenhaus“ von Hubert Fichte inspirieren. Am Sonntag wurde beim Kunstverein Vernissage gefeiert – und das mit so vielen Besuchern wie lange nicht mehr.

Vielleicht lag das daran, dass diesmal so unglaublich viele der rund um Schrobenhausen aktiven Künstler dabei sind: Irmgard Richter, Richard Gruber, Nik Richter, Rolf Dieter Wührl, Viktor Scheck, Max Biller, Sig Fabig, Steffi Laquai, Richard Ripley, Wolfgang Classen sowie Heidi Guilino und Konrad Dördelmann.

Ganz individuell haben sie sich dem Buch Fichtes, der darin seine Zeit im Schrobenhausener Waisenhaus beschreibt, genähert – mit naturalistischen Zeichnungen, ausdrucksstarken Malereien, Radierungen, Digitaldruck und verschiedensten Objekten. Oft ist auf Anhieb zu erkennen, worauf der Künstler hinaus will, doch es gibt auch die abstrakten Umsetzungen des Themas. Auffallend viele der Schrobenhausener Künstler experimentierten, indem sie zu für sie eher atypischen Techniken und Darstellungsarten griffen.

„Schrobenhausen kann durchaus magisch sein“, meinte Sig Fabig, Bezug nehmend auf eine Textstelle in Hubert Fichtes Roman. „Dieses Buch ,Das Waisenhaus’ hat mir Dieter Distl im Januar 1981 geschenkt. 32 Jahre danach gibt es hier im Kunstverein eine Ausstellung zum Thema. Ist es Magie? Oder ist es einfach Zufall“

„Fichte beschreibt einen ganz kleinen Ausschnitt seines Lebens“, berichtete der ehemalige Neuburger Kulturreferent Dieter Distl dann aus dem Roman. Fichtes jüdischer Vater emigrierte nach Skandinavien, die Mutter habe versucht, ihren Sohn zu schützen, indem sie ihn im Rahmen der Kinderlandverschickung in einem bayerischen Waisenhaus unterbrachte. „Es ist faszinierend, dass sich ein Siebenjähriger nach 20 Jahren so präzise erinnert“, findet Distl. Detailliert beschreibe er etwa die neu gebaute evangelische Kirche samt Innenausstattung.

Das Mystische, die Rituale, die Hubert Fichte als Sohn eines jüdischen Vaters und einer protestantischen Mutter durch den Katholizismus im Schrobenhausener Waisenhaus erfuhr, habe ihn ein Leben lang fasziniert, so Distl. Die Prägung durch das Waisenhaus ziehe sich durch sein gesamtes Lebenswerk. Und das, obwohl Fichte nur ein knappes Jahr in Schrobenhausen verbracht habe. „Dass der Stadtrat den Mut hatte, einem schwulen Pop-Autor jüdischer Herkunft eine Straße zu widmen“, finde ich außergewöhnlich“, lobte Distl.

Hans Kriss hat die Texte aus dem Waisenhaus mit dem späteren Werk Fichtes verglichen. Offensichtlich sei der Autor während seines Flötenunterrichts im Maria-Ward-Kloster so nah an die katholische Liturgie gekommen, dass er später in die Welt hinaus ging, um dort Religionen zu erforschen, vor allem die animistischen Religionen Südamerikas. Hans Kriss las aus Hubert Fichtes „Xango“, um danach wieder zurückzukehren zum Waisenhaus.

„Da entdeckt der kleine Hubert – im Roman Detlev – ein ganz besonderes Ritual, das jeder hier kennt“, erzählt Hans Kriss. Und natürlich wissen die Besucher, wovon Hans Kriss spricht, sind doch Generationen von Schrobenhausenern damit groß geworden: Das kleine Jesuskind, das nach Geldeinwurf in einer Art Aquarium – so bezeichnet es der Autor – erscheint, um den Segen zu spenden. Was so putzig eingeleitet wurde, nimmt dann doch eine brachiale Wendung: „Detlev überlegte, ob der Gauleiter, ehe er starb, auch dieses Fünferl hineingesteckt hatte; ob der Polizist Kriegel, wenn er vom Polen durchpeitschen kam, auch vom Christkind aus Blech gesegnet wurde.“

Noch weitere zwei Mal wird Hans Kriss aus Hubert Fichtes Roman lesen, am 28. April und 12. Mai, jeweils um 16 Uhr. Dabei wird Kriss auch Bezug auf die Bilder und Objekte der Ausstellung nehmen. Eine Auswahl ist übrigens unter www.kunstverein-schrobenhausen.de zu sehen. Die Ausstellung selbst ist noch bis 12. Mai in den Räumen des Kunstvereins zu besichtigen.