Schrobenhausen
Die letzten Tage

SZ-BESUCH bei Helmut und Rita Zimmermann, die nach über 32 Jahren zum Jahresende ihren Tante-Emma-Laden schließen

27.12.2016 | Stand 02.12.2020, 18:52 Uhr

Auf nur 90 Quadratmetern haben Helmut und Rita Zimmermann in ihrem kleinen Laden in der Königsberger Straße all das verkauft, was man im Alltag so braucht - ein typischer Tante-Emma-Laden also. Zum Ende des Jahres ist damit Schluss. Die beiden Ladenbesitzer wollen kürzer treten und schließen deshalb ihr Geschäft auf der Platte. - Fotos: De Pascale

Schrobenhausen (SZ) Ein Abschied, der wehtut: Einer der letzten Tante-Emma-Läden Schrobenhausens schließt zum Jahresende. Für immer. Mehr als 32 Jahre waren Helmut und Rita Zimmermann für ihre Kunden auf der Platte da. Mit Leidenschaft, Fleiß, vor allem aber mit viel Herzenswärme.

Frisches Obst und Wurst, Nudeln, Waschmittel, Süßigkeiten oder Essiggurken und jetzt zum Jahresende auch mal silbrig funkelndes Lametta - so ziemlich alles, was der Mensch zum Leben braucht, gibt es im Tante-Emma-Laden in der Königsberger Straße. Und obendrauf noch einen Service, dem die Menschen auf der Platte künftig ziemlich nachtrauern dürften. Ist jemand krank, wird der Einkauf auch mal heim geliefert; haben Mama oder Papa keine Zeit, können sie die lieben Kleinen mit dem Einkaufszettel vorbeischicken; und ist grade nicht viel los im Laden, dürfen diese auch mal selber in die Kasse tippen. "Zimt? Den haben Sie eigentlich gestern erst gekauft", sagt Rita Zimmermann, wenn sie ahnt, dass jene ältere Dame ihren Einkauf vom Vortag einfach nur vergessen hat. Und hat jemand einen Angehörigen verloren, dann kommt es auch mal vor, dass sie denjenigen ganz spontan in den Arm nimmt. "Wir könnten auch ein Schild an die Tür hängen: Seelsorge", sagt Rita Zimmermann schmunzelnd. "Wir wissen, wie die Kinder auf die Welt kamen, aufgewachsen sind, geheiratet haben", erzählt Helmut Zimmermann davon, wie ihm im Lauf der Jahre ganze Familien ans Herz gewachsen sind. "Und dann kaufen irgendwann deren Kinder bei uns ein", ergänzt seine Frau.

Ein Gespür für die Menschen, dafür, was sie grade auf der Seele haben, auch mal mit einer kleinen Geste zeigen, dass es hier in diesem Laden beileibe nicht nur ums reine Geldverdienen geht - das zeichnet die Zimmermanns aus. Und liefert eine der Erklärungen, warum der Laden bis heute läuft, weshalb er immer, trotz der grade mal 90 Quadratmeter Verkaufsfläche, gut mit den großen Supermarktketten mithalten konnte, übrigens auch bezüglich der Preise. "Was wir nicht haben, das bringe ich vom Großmarkt mit", erzählt Helmut Zimmermann. Wie gerade eben. "Ganz scharfe rote Peperoni" wollten zwei Herren. Natürlich hat er die nicht vorrätig. Aber besorgen kann er sie. Oder auch mal einen Flasche Champagner. Vieles kaufe er im Angebot, und wenn's grade kein verlockendes gibt, dann geht daheim im Laden eben mal die eine spezielle Sorte Nudeln aus. Seine Kunden können damit leben.

Von der Pike auf haben die beiden das Kaufmännische gelernt. Helmut Zimmermann im Groß- und Außenhandel, Rita Zimmermann im Verkauf. 67 und 62 Jahre sind sie alt. Gemeinsam stehen sie sechsmal die Woche in ihrem Geschäft. Von morgens bis abends. Tagtäglich geht es früh um vier aus den Federn. Helmut Zimmermann fährt dann erst mal Brot holen, seine Frau bestückt die Wursttheke. Anschließend wird das Obst hergerichtet und gegen halb, dreiviertel sechs steht bereits der erste Kunde vor der Tür. Und dann wären da auch noch all jene Handgriffe, die der Kunde in der Regel gar nicht mitbekommt: putzen, Kassenabrechnung, Büroarbeit et cetera. Das Ganze bei grade mal zwei Wochen Urlaub. Im Jahr! Krank sein? Wie soll das denn bitte gehen? Was dranhängt, an einem solchen Laden, das wissen oft nur die, die selbst drin stecken. Oder deren Familien. So wie die Tochter der Zimmermanns. "Seit sie das Geschäft haben, habe ich vielleicht zwei- oder dreimal erlebt, dass mein Papa nachmittags daheim war", erzählt Marion Zimmermann. Es ist einer der Gründe, weshalb sie beim Gedanken, den Laden selber weiterzuführen, freundlich aber bestimmt abwinkt: "Auch wenn er meine zweite Heimat ist - ich weiß, was an Arbeit drinsteckt." Auch sonst tut sich nichts bezüglich eines Nachfolgers. Ob sich das alles heute noch jemand antun möchte - die Zimmermanns haben da so ihre Zweifel. Doch beide betonen: "Wir haben es gern gemacht." Vor allem deshalb, "weil unsere Kunden einfach nett sind". Geklaut wurde übrigens in all den Jahren kaum etwas. Einen Fall habe es mal gegeben, erinnert sich Helmut Zimmermann, "aber nichts Tragisches".

Sorgen um die beiden, ob der vielen Freizeit, die nun auf sie zukommt, muss sich niemand machen. "Ich fahr' weiter mit meinem ambulanten Lebensmittelhandel aufs Land", strotzt Helmut Zimmermann immer noch vor Tatendrang, auch wenn das grade mal drei Tage die Woche beanspruchen wird. Und seine Frau hat vor geraumer Zeit ihre kreative Ader entdeckt. Bereits jetzt schmücken Dutzende ihrer farbenfrohen Aquarelle den kleinen Laden in der Königsberger Straße. Einmal müsse die Arbeit weniger werden, sind sich die Zimmermanns einig. Deshalb ist zum Jahresende endgültig Schluss. Ein Schritt, der sich für die beiden absolut richtig anfühlen mag - eine gehörige Portion Wehmut ist hier auf der Platte dennoch deutlich zu vernehmen. "Was diese Leute für die Allgemeinheit in diesem Gebiet getan haben, lässt sich nicht in Worte fassen", sagt Stammkunde Michael Dallmayr. "Es gibt keine freundlichere Kramerin. Ebenso ihr Mann, die zwei hatten immer ein gutes Wort für dich." Selbst die Kinder hätten, beispielsweise beim Stoßgeschäft an Heiligabend, auch mal ab früh um sieben im Laden geholfen. "Wo gibt es so was heute noch", fragt Dallmayr. "Das ist Nostalgie." Auch Stammkunde Michael Sauter ist überzeugt: "Die Bewohner hier auf der Platte werden die Zimmermanns vermissen. Die beiden sind eine Institution."

Vor Kurzem vertraute eine junge Kundin Rita Zimmermann an, was sie von alledem hält: Selbstverständlich könne sie anderswo einkaufen, sagte sie - "aber das seid halt nicht ihr."