Schrobenhausen
Kaputt und doch so wertvoll

Totholz ist im Wald ein besonders wichtiger Bestandteil des Nährstoffkreislaufs und unerlässlich für die Artenvielfalt

22.01.2018 | Stand 02.12.2020, 16:55 Uhr

Totholz macht einen Wald erst interessant - und zwar nicht nur aus optischen Gründen. Geht das Leben eines Baumes zu Ende, entstehen in der Rinde und im Holzkörper vielfältige neue Lebensgemeinschaften - und nicht alle sind so gut sichtbar wie Moos und Pilze. - Fotos: Hahn, Egginger

Schrobenhausen (SZ) Aus wirtschaftlicher Sicht haben abgestorbene Bäume auf den ersten Blick keinen Nutzen. Doch sie sorgen dafür, dass der Wald ein ausgewogenes Ökosystem bildet - und somit robust bleibt.

"Unwetter hinterlässt unzählige kaputte Bäume" - so lauten oftmals die Schlagzeilen von Berichten über Schäden, die Stürme wie Wiebke, Niklas oder zuletzt der Auguststurm Kolle hinterlassen haben. "Kaputt" bedeutet, dass ein Gegenstand entzweit, zerbrochen, zerrissen oder zerstört worden ist. Der Bedeutung nach sind kaputte Bäume also wertlos. Doch muss wertlos auch immer gleich nutzlos sein? Und wann gilt ein Baum als kaputt?

Natürlich sterben Bäume, wenn sie ihre natürliche Altersgrenze erreicht haben. Unsere Bäume können 100 bis 500 Jahre, in Ausnahmefälle aber auch bis zu 1000 Jahre alt werden. Durch Trockenheit und Lichtmangel sterben auch junge Bäume vorzeitig ab. Bäume können durch Unwetter (zum Beispiel Sturm, Schneebruch, Hagel) so stark beschädigt, abgebrochen oder entwurzelt worden sein, dass sie dürr werden. Tiere (zum Beispiel der Biber), Insekten (zum Beispiel der Borkenkäfer oder Raupen) und Pilze können Bäume "umbringen". Aber auch noch lebende Bäume können kaputt sein, wenn der Stamm oder die Baumkrone zum Beispiel bei der Waldarbeit beschädigt worden ist (Fäll- und Rückeschäden), Tiere wie der Hirsch sie angeknabbert haben oder Pilze sich angesiedelt haben und mit der Holzzersetzung beginnen. Der Baum ist zwar nicht tot, aber sein wirtschaftlicher Wert kann stark geschmälert werden, wenn der Stamm nicht mehr als hochwertiges Bau- oder Schreinerholz vermarktet werden kann.

Sowohl beschädigte als auch abgestorbene Bäume stellen immer einen gewissen Wertverlust für den Waldbesitzer dar. Morsche und angebrochene Äste an stehenden Bäumen sowie abgestorbene, stehende Bäume - sogenanntes Totholz - können auch schwere bis tödliche Verletzungen bei Menschen und Tieren verursachen, wenn diese Äste plötzlich abbrechen oder morsche Bäume bereits bei leichtem Wind umfallen. Auch die Waldarbeit birgt ein höheres Risiko, wenn in einem Gehölzstück Bäume mit starken Totholzästen oder viele abgestorbene Bäume herumstehen.

Kaputte Bäume, ob noch lebendig oder bereits abgestorben sind für die forstliche Nutzung weniger interessant, aber sie haben eine besondere Bedeutung für die Tier- und Pflanzenwelt. An und in ihnen steckt mehr Leben als man denkt. All diese Bäume haben durch ihre Beschaffenheit eine besondere Bedeutung für die Tier- und Pflanzenwelt, man bezeichnet sie daher auch als Biotopbäume.

In Mitteleuropa gibt es zirka 1350 Totholz bewohnende und Holz abbauende Käferarten sowie etwa 1500 Großpilzarten in und am Totholz. Beim Totholz handelt es sich um abgestorbenes Holz. Unterschieden wird zwischen dem stehenden Totholz - hierzu zählen auch noch lebende Bäume mit sehr dürren Ästen, abgestorbenen Stammteilen oder Kronentotholz sowie Baumstöcke - und dem liegenden Totholz. So findet sich in Urwäldern oder naturnahen Wäldern immer eine große Menge von totem Holz in unterschiedlichsten Formen - abgestorbene kleine oder große Äste, kleine oder große dürre Bäume, dünne oder dicke Stämme, stehendes oder liegendes Totholz, frisch abgestorben oder vermorscht, besonnt oder im Schatten. Für jede Art des Totholzes finden sich eine Vielzahl von Nutzern wie Pilze, Insekten, Vögel und Säugetiere. Je nach Holzart und Zersetzungsgrad, Feuchtigkeit und Besonnung entstehen so Lebensgemeinschaften in der Rinde oder im Holzkörper die das (Tot-)Holz buchstäblich auffressen. Am Ende des Zersetzungsprozesses steht die Mineralisierung der gebundenen Nährstoffe und Spurenelemente. Der Kreis vom Entstehen bis zum Vergehen schließt sich. Totholz ist daher ein wichtiger Bestandteil des Nährstoffkreislaufs.

Neben dem Totholz gibt es noch die sogenannten lebenden Biotopbäume. Dies sind Bäume mit größeren Stammverletzungen, Stammfäule, Pilzbefall, mit Natur- und Spechthöhlen, Horstbäume und Uraltbäume (sogenannte Methusalems). Betrachten wir einmal eine ältere Eiche. Insekten und Spinnentiere nutzen die raue Borke als Unterschlupf oder Überwinterungsmöglichkeit. Mit den Insekten kommen die Pilze. Die Pilze wiederum dienen verschiedenen Insekten als Nahrungsquelle. Die Larven der Insekten werden von den Vögeln gefressen. Die Eier, aber auch die Vögel stehen wiederum auf der Speisekarte von Rabenkrähen, Mardern oder Greifvögeln. Nach und nach entsteht eine Nahrungskette. Zwischen den verschiedenen Individuen bestehen so auch unterschiedlichste Abhängigkeiten. Stirbt eine Art aus, können auch andere Arten in Not geraten.

Kommen wir noch mal zurück zu den Pilzen, zum Beispiel dem Eichenfeuerschwamm. Der Pilz, anfangs an der Borke, zersetzt durch Abbau des Lignins und der Zellulose das Holz, eine partielle Stammfäule entsteht. Nun kommen die Spechte ins Spiel. Denn gerade diese Vögel zimmern ihre Höhlen bevorzugt in das nicht mehr ganz intakte (angefaulte) Holz. Auf die Spechte folgen die Höhlenbrüter wie Meisen, Kleiber, Halsbandschnäpper, verschiedene Eulen, Dohlen oder Hohltauben, die selbst keine Baumhöhlen zimmern können. Auch die Staaten bildenden Insekten wie Bienen, Wespen und Hornissen nutzen gerne die Baumhöhlen. Für (Wald-)Fledermäuse sind sie vom Frühjahr bis zum Herbst ein bevorzugtes Tagesversteck. In die kränkelnden Stämme bohren sich nun auch Pracht- und Bockkäferarten, wie der Hirschkäfer und der Eichenbock. Die Zersetzungsarbeit des Eichenschwamms schreitet weiter voran.

Schließlich bricht der Baum ab. Ein Stumpf bleibt stehen und treibt eventuell wieder neu aus. Die abgebrochene Krone liegt am Boden. Das feucht-modrige Milieu nutzen auch Amphibien wie der Kammmolch als Tagesversteck und Überwinterungsquartier. Mit dem Bodenkontakt des liegenden Astes oder des Stammes werden die typischen Holzbesiedler langsam verdrängt und feuchtigkeitsliebende Bodentiere wie Asseln, Milben, Springschwänze, Tausendfüßer, Schnecken und schließlich Regenwürmer stellen sich ein. Sie spielen für die Umwandlung des Holzes in fruchtbaren Humus den Wegbereiter. Der Zersetzungsprozess schreitet voran, übrig bleiben der Humus und die freigesetzten Mineralstoffe.

Wer einmal die Gelegenheit hatte, einen vom Wind umgeworfenen Baum über mehrere Jahre zu beobachten, wird überrascht sein von der Vielfalt von Arten, die an einem solchen Stamm zu beobachten sind. So sind zum Beispiel tote Buchenstämme der Renner für Totholzpilze - mehr als 250 Arten wurden nachgewiesen, darunter auch zahlreiche seltene Arten, vereinzelt auch stark gefährdete.

Auch Flechten, eine Symbiose aus Pilzen und Algen, benötigen natürliche oder naturnahe Waldökosysteme mit alten, absterbenden oder morschen Bäumen.

Fazit: Kaputte Bäume leben durch ihre Nutzer in Form von Nahrungsquelle, Unterschlupf oder Kinderstube. Sie sind daher ein besonders wichtiger Bestandteil des Nahrungskreislaufes und wichtig für die Artenvielfalt im Wald. Mit einem teilweisen Verzicht der Nutzung von kaputten Bäumen kann der Waldbesitzer einen wertvollen Beitrag für die Artenvielfalt leisten.

 

Der Autor ist beim Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Pfaffenhofen unter anderem für die Natura-2000-Gebietsbetreuung Wald und die forstliche Förderkontrolle zuständig.