Pfaffenhofen
Das Pfaffenhofener Wirtshaussterben

Vom Sigl bis zur Lüften: In den vergangenen Jahrzehnten wurden 14 traditionsreiche Gaststätten aufgelöst

27.08.2015 | Stand 02.12.2020, 20:52 Uhr

Foto: DK

Pfaffenhofen (SZ) Pfarrfasching im Bortenschlager, Bluesgrößen im Siglbräu, Kegeln beim Königwirt – nichts geht mehr: Diese und elf weitere traditionsreiche Gaststätten fielen im Lauf der Jahrzehnte dem Pfaffenhofener Wirtshaussterben zum Opfer.

Hermann Singer, Maler, Karikaturist und Autor (unter anderem: „Pfaffenhofen – von Straßen und Menschen“) wirft für unsere Zeitung einen Blick zurück. Jede vierte Gemeinde in Bayern ist heute ohne Wirtshaus. Bei einer Zählung in den Jahren 1980 bis 2011 waren von 7900 Wirtshausbetrieben 3900 stillgelegt. Mit jedem Wirtshaus stirbt ein Stück Tradition und wird die Gemeinschaft in ihrer Substanz bedroht. Ein Wirtshaus ist ein Teil unserer gelebten bayerischen Kultur. Ein Ort der Begegnung, des Austausches, der Unterhaltung. Mit seiner Auflösung schwindet die für den Zusammenhalt so wichtige Geselligkeit und soziale Bindungen lösen sich auf.

Ein Wirtshaus ist mehr als nur die Ausgabe von Speisen und Getränken. In der Gaststube stand der Stammtisch als ein wichtiger sozialer Treffpunkt. Politik wurde gemacht, Neuigkeiten verbreitet und die Besserwisser konnten sich ihren Frust von der Seele reden. Es wurde Karten gespielt: Schafkopf und Watten, die untrennbar mit der bayerischen Tradition und Wirtshauskultur verbunden sind. Am Sonntagvormittag traf man sich regelmäßig zum Frühschoppen – wenn es dabei auch nicht bei dem einen Schoppen blieb und die Frau zu Hause manchmal länger mit dem Essen warten musste.

Fast jeder Gasthof hatte einen großen Nebenraum, da trafen sich die Vereine, es wurden Geburtstage und Hochzeiten gefeiert. Man traf sich zum Leichenschmaus, dem gemeinsamen Speisen der Trauergäste unmittelbar nach der Beerdigung – und noch aus vielen anderen Anlässen.

Die Ursachen des Wirtshaussterbens sind bekannt. Durch die gestiegene Mobilität ist man heute nicht mehr an den Wirt um die Ecke gebunden, den man schnell zu Fuß erreichen konnte, um ein Bier zu trinken. Der Einkauf in den Getränkemärkten mit ihrem Riesenangebot ersetzt zusätzlich einen Wirtshausbesuch. Sportgaststätten und Vereinsheime binden ihre Mitglieder und Gönner. Immer mehr ausländische Küchen finden ihre Liebhaber. Fernsehen und Internet prägen zusehend den Freizeitalltag. Und die junge Generation sucht heute Zerstreuung an anderen Orten, in Diskotheken, auf Partys und in den Bars.

In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg sind in Pfaffenhofen 14 traditionsreiche Wirtsbetriebe nach und nach aufgelöst worden: Die Freibergerwirtschaft – der Lutherwirt mit eigener Metzgerei – an der Ecke Ingolstädter Straße-/Löwenstraße gehört dazu. Ein Immobilienservice bietet heute dort seine Objekte an. In der Münchener Straße waren es die Bachthaler Wirtschaft, gegenüber der Auffahrt zum Bahnhof, im heutigen Hipp-Gelände sowie der Königwirt, er stand beim Eingang zur Firma Hipp. Ein denkmalwürdiger Bau mit Gästezimmer, großem Biergarten und einer Kegelbahn. Der Moosburger Hof bei der evangelischen Kirche, einst ein beliebtes Wirtshaus mit einem romantischen Tanzpavillon nahe am Ilmufer, hat sich nach einem Neubau vom schlichten Gasthof zum modernen Hotel mit Restaurant entwickelt. Dort, wo heute die Volksbank Raiffeisenbank Bayern Mitte steht, dominierte früher die Brauerei Amberger den unteren Hauptplatz. Ein typisches bayerisches Wirtshaus, mit einem großen Nebenzimmer – Domizil der Liedertafel. Gegenüber steht das Wirtshaus Zum Wohlherrn, das Eingangstor ist geschlossen. Blumen in den Fenstern zum Hauptplatz senden noch Grüße aus der Gaststube. In jüngerer Zeit verabschiedete sich die Siglwirtschaft, die Gaststätte zum Sigl. Zuletzt eine beliebte Musikkneipe, in die der Wirt Adi Descy legendäre Künstler und Bands holte. In dem Neubau, der entlang der Ingolstädter Straße bis zur Löwenstraße reicht, ist das Bekleidungsunternehmen C&A eingezogen. Es stelle einen Meilenstein auf den Weg zu einer noch attraktiveren und lebendigeren Innenstadt dar, so der Bürgermeister. In den oberen Etagen sitzt die Stadtverwaltung.

An der Eingangsseite zu den Amtsräumen in der Ingolstädter Straße stand die Rauscher Wirtschaft und nebenan das Bräustüberl mit einem Biergarten als letzte stille Oase in der lärmenden, verkehrsgeplagten Innenstadt. Zuletzt der Bortenschlager am oberen Hauptplatz als eine der traditionsreichen Gaststätten – das Stammlokal der Feuerwehrler. Mit dem einzigen Saal in der Stadt. Eine Hochburg im Fasching mit den Vereinsbällen. Theater wurde gespielt, Weihnachtsfeiern, Betriebsveranstaltungen und noch vieles mehr fand dort statt. Der K & L, ein weiteres Bekleidungsunternehmen, soll nun im Neubau auf dem Bortenschlager-Gelände zur Belebung der Innenstadt beitragen. Beim Kramerbräu an der Ecke Sonnenstraße/Auenstraße, mit einer der ältesten Wirtsbetriebe, in dessen Gaststube schon seit Längerem griechische Speisen angeboten wurden, finden zurzeit umfangreiche Sanierungsmaßnahmen statt.

In der Scheyerer Straße, bei der Abzweigung zum Schleiferberg, stand einst ein Wirtshaus mit historischem Namen, der Wittelsbacher Hof. Das Haus steht noch. Die Gaststube ist heute eine Cocktailbar mit Burger und Co.

Nichts erinnert mehr an die Amberger Kellerwirtschaft, an der Ecke Keller- und Gritschstraße, mit dem letzten der zehn Biergärten, die einst entlang der Kellerstraße in der warmen Jahreszeit für Leben sorgten. Ein moderner Wohnblock steht auf ihrem Platz. Die Lüftenwirtschaft in der Hohenwarter Straße, vor dem Aufgang zur Lettnerstraße mit ihrem großen Biergarten, musste gleichfalls für eine Wohnanlage machen.