Geisenfeld
Wunder aus der frühen Neuzeit

Marianne Heimbucher gibt editiertes Mirakelbuch aus dem Geisenfelder Kloster heraus

17.04.2018 | Stand 23.09.2023, 2:56 Uhr
Marianne Heimbucher mit dem originalen Mirakelbuch (rechts), dessen Inhalt sie für ein breites Publikum aufbereitet hat. −Foto: Ermert

Längere Zeit hat man von Kulturpreisträgerin Marianne Heimbucher nichts gehört. Nun überrascht sie mit der Herausgabe eines im Wortsinn wundervollen Werkes unter dem Titel

Geisenfeld (GZ) Fasziniert ist Marianne Heimbucher, die gelernte Kirchenmalerin, von Kindesbeinen an von dem Büchlein, das zu den Schätzen in der Bibliothek ihres Großvaters gehörte. "Die Schrift hat mich beeindruckt - und ich hab schon als Kind versucht sie zu entziffern", verrät die heute 51-Jährige. Was ihr natürlich damals nur zu einem sehr kleinen Teil gelungen ist. Losgelassen hat das Mirakelbuch sie aber nie. Und so beschloss die Geisenfelderin vor fünf Jahren den Inhalt zu transkribieren, also in lateinische Druckbuchstaben zu übertragen.

Dabei wurde Heimbucher, die sich inzwischen der Restaurierung archäologischer Funde verschrieben hat, schnell klar: "Was vor 500 Jahren hier festgehalten wurde, ist für ein breites Publikum interessant." Und so formte sich bald der Gedanke, die Sammlung in Buchform herauszugeben. Als Mitstreiter hatte sie schnell den Köschinger Heimatpfleger Richard Kürzinger gewinnen können, der das Vorwort zu der Veröffentlichung verfasste.

Wie viel Arbeit das Unterfangen bedeuten würde, das hat sie anfangs nicht geahnt. "Über 1000 unbezahlte Stunden stecken da drin", meint sie heute im Rückblick. Denn um das empfindliche Papier nicht über Gebühr zu beanspruchen, hatte sie zunächst alle Seiten eingescannt. Alle 995 Eintragungen wurden sodann mit einer fortlaufenden Nummerierung versehen. "Um sie schließlich "buchstaben- und zeilengetreu zu transkribieren." Da steckte der Teufel im Detail - und auch die Handschriften der Verfasserinnen waren nicht immer leicht zu entziffern.

Das sei aber alles kein Problem gewesen. "Zumindest nicht im Vergleich zur statistischen Auswertung der Einträge nach bestimmten Parametern wie Herkunft, Art des Wunsches, Opfergaben und vieles mehr", erzählt sie. So manches Wort würde dem unbedarften Leser von heute unverständlich bleiben, hätte Heimbucher nicht auch noch ein Glossar mit Erklärungen angefügt. Da erfährt man, was sich hinter Begriffen wie Aidem (Schwiegersohn), Enicklein (Enkel) oder Zwehel (Altartuch) verbirgt.

Als Sammlung von Wunderberichten ist die Literaturgattung des Mirakelbuchs seit der Spätantike bekannt und erlebte ihre Blütezeit im Barock. Auch die in Geisenfeld notierten Gebetserhörungen spiegeln auf sehr anschauliche Weise die Lebensverhältnisse und die Volksfrömmigkeit ihrer Entstehungszeit wider. "Gerade die einfachen Leute konnten sich den auf dem Land eher selten anzutreffenden Medicus nicht leisten" erklärt Heimbucher. Selbst Bader oder Hebammen, die meist die Behandlung übernahmen, waren für viele zu teuer. Dem Vernehmen nach soll in Geisenfeld noch bis 1797 ein Abdecker die Aufgaben eines Doktors mit übernommen haben. Es verwundert also nicht, dass es bei über 93 Prozent der Eintragungen um die Heilung von Krankheiten geht - Steinleiden, Blattern (Pocken), Franzosenkrankheit (Syphillis) und allerlei Geschwüre gehören dazu.

Göttlichen Beistand, so wird immer wieder deutlich, darf sich indes nur erhoffen, wer seine Votatio (das für den Fall der Erhörung geleistete Gelübde) auch einhält. Was die Ehefrau eines gewissen Wirsing zu spüren bekam. Der war öfter mal "vom Wein heimgegangen und die ganze Nacht umgelaufen wie ein schwachsinniger Mensch", wie es in dem Buch heißt. Erst als sein Weib tatsächlich ein Vierdung Wachs (also etwa 500 Gramm) an das Kloster spendete, wurde ihrem Mann "gnedicklich geholffen". Zu den Votivgaben gehörten aber nicht nur Sach- und Tierspenden (bis hin zur halben Kuh) oder die Nierensteine eines Kindes. Auch die Versprechen, auf bloßen Knien um den Altar zu kriechen oder gar nackt in die Kirche gehen zu wollen, gehören dazu. Manchmal nahm auch die Geistlichkeit Zuflucht zur Heiligen Anna. So etwa die Äbtissin Sabina von Seyboldsdorff - weil sie "hat ainen schmerzlichen druck gehabt vmb die prust" und "großen wetagen (...) in Irem haupt".

Die Verfasserin stellt ihrer Veröffentlichung eindrucksvolles Bildmaterial voran, das die Verehrung der Heiligen Anna in Geisenfeld dokumentiert. Schon 1507 hatte sich die Äbtissin Katharina von Stetten in einem Schreiben an das Bistum Regensburg gewandt, in der Hoffnung eine Wallfahrt etablieren zu können. Die 43 Gebetserhörungen, die sie darin anführt, sind in Heimbuchers Veröffentlichung nachzulesen. Noch heute zeugt die um 1420 entstandene Figurengruppe "Anna Selbdritt" (also mit ihrer Tochter Maria und deren Sohn Jesus auf dem Schoss) in der Seitenkapelle der Stadtpfarrkirche von deren Bedeutung bis in die heutige Zeit hinein. 1954 wurde das Gnadenbild restauriert und 1972 die jährlich am 26. Juli stattfindende Frauen- und Mütterwallfahrt wiederbelebt.

Erstmals vorstellen wird Heimbucher ihr Buch am 24. April im Aventinum zu Abensberg. "Aber natürlich wird es auch eine zeitnahe Präsentation in Geisenfeld geben", verspricht die Verfasserin. Termin und Ort werden rechtzeitig in unserer Zeitung bekannt gegeben.

Das Original des Mirakelbuchs aus der Benediktinerinnen-Abtei Geisenfeld besteht übrigens aus 17 fadengehefteten Lagen sogenannten Bütten- oder Hadernpapiers (aus Textil- oder Zellstoff hergestellt) im Oktavformat. Einige Seiten fehlen, erhalten sind 163 Blätter mit 995 Einträgen, die in unterschiedlichen Handschriften wohl mit Sepia-Tinte verfasst sind. Der Entstehungszeitraum fällt in die Ägide von vier Äbtissinnen des Klosters Geisenfeld: Katharina von Stetten (1501 bis 1520), Beatrix Schaltdorfferin (1520 bis 1534), Hipolite Hewstädlin (1534 bis 1538) und Sabina von Seyboldstorff (1538 bis 1574).

Das unscheinbare Werk war bei der Säkularisation im Jahre 1803 nicht als erhaltenswert eingestuft worden. Wie der Heimatforscher Johann Gualbert Geistbeck einst beklagte, ist damals so manches "treffliche Buch" an Papierhändler "verschleudert" worden. Dass dieses Mirakelbuch der Nachwelt erhalten blieb - noch dazu am Ort seines Entstehens - ist der Familie Heimbucher zu danken. Diese habe, so Richard Kürzinger nicht nur den Wert des Buches erkannt sondern es durch sachgerechte Lagerung bis heute in einem guten Zustand bewahrt.

Kürzinger stellt das Werk in einen größeren historischen Zusammenhang. Verfasst zur Zeit der Reformation stehe es "der Kritik Luthers an den Zuständen der Kirche diametral gegenüber" und sei so ein Zeitdokument von Rang. Als frühes Werk aus einer langen Reihe ähnlicher Dokumentationen sei es gerade für Familien- und Heimatforscher aus der Region von besonderem Interesse, erklärt der Heimatforscher. Der Grund: Die Pfarrbücher, aus denen die Genealogie ihre Daten bezieht, setzen meist erst ab dem Dreißigjährigen Krieg ein. Mit dem viel älteren Mirakelbuch stehe eine Quelle zur Verfügung, die drei bis vier Generationen weiter zurückreicht. Zudem fülle die Sammlung eine geschichtliche Lücke was die Bedeutung der Anna-Wallfahrt angehe.

"...da ist Im gnediklich ge-holffen worden" ist in den Abensberger Beiträgen zur bayerischen Kulturgeschichte Band III, Herausgeber Tobias Hammerl, im Verlag Friedrich Pustet erschienen (ISBN 978-3-7917-2950-3, 20 Euro).

Maggie Zurek