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Schlimme Bilder und große Gefühle

Michael Matthes und Vito Verde vom THW Pfaffenhofen sprechen über zwei Wochen Dauereinsatz im Krisengebiet

21.06.2013 | Stand 03.12.2020, 0:00 Uhr

 

Willkommen zurück! Ihr seht abgekämpft aus. Wie lange wart ihr jetzt im Einsatz

Michael Matthes: Bei mir sind es jetzt zwei Wochen, in denen ich durchgehend unterwegs war. Das zehrt schon an den Kräften.

 

Wann seid ihr eigentlich genau in Alarmbereitschaft versetzt worden?

Vito Verde: Das war schon am Freitag, bevor die eigentliche Hochwasserkatastrophe bei uns begonnen hat. Im Oberland und in Teilen Niederbayerns ist da schon der Katastrophenalarm ausgelöst worden, als bei uns von Hochwasser noch keine Rede war.

 

Es war also schon absehbar, was kommen würde. Habt ihr mit einem längeren Einsatz gerechnet?

Matthes: Das haben wir tatsächlich. Unsere Fachgruppe Wasserschaden/Pumpen ist ja genau auf diese Situation ausgerichtet. Allerdings waren auch wir etwas davon überrascht, dass unseren eigenen Landkreis die Flut gleich zu Beginn so hart getroffen hat.

Verde: Wir waren gerade beim Deichbau in Reichertshofen beschäftigt, um den Ort vor den heranströmenden Fluten zu schützen, als die Lage immer bedrohlicher wurde.

 

Wo waren aus Eurer Sicht im Landkreis die Brennpunkte?

Verde: Ich selbst war vorrangig in Vohburg im Einsatz. Das war aber ein ganz mulmiges Gefühl als ich gehört habe, dass alle THW-Kräfte aus der Region nach Pfaffenhofen beordert wurden. Dort war die Situation am kritischsten. Ich wohne in der Gegend Kapellenweg/Draht. Als da die Keller vollliefen, bin ich mir schon sehr eigenartig vorgekommen. Da hilfst du anderen – und zu Hause steht alles unter Wasser.

 

Um eine Vorstellung zu bekommen. Was könnt Ihr bei einer solchen Flut eigentlich leisten?

Matthes: Wir haben Pumpen, mit denen wir bis zu 140 000 Liter Wasser pro Minute von A nach B bewegen können. In Vohburg haben wir das gesamte Kanalnetz entlastet und es dadurch vor dem Kollaps bewahrt. Einen vollgelaufenen Keller pumpen wir innerhalb von zehn Minuten wieder leer.

Verde: Außerdem haben zum Beispiel wir beide einen Deichverteidigungskurs belegt – und können daher große Hilfsgruppen im Katastrophenfall anleiten, was sie zu tun haben.

 

Wer entscheidet, wenn es darum geht, wo Sandsäcke gestapelt werden?

Matthes: Die Flussmeister vom Wasserwirtschaftsamt wissen, wo die Gefahrenstellen sind. Die Feuerwehrler, Soldaten oder privaten Helfer füllen und schleppen Sandsäcke – und wir entscheiden, wie der Bau einer Sandsackbarriere abläuft.

 

Als sich die Lage im Landkreis entspannt hat, ging es für Euch erst richtig los. Wo wart Ihr überall im Einsatz?

Verde: Die erste Station war Winzer. Von dort ging es immer näher an das Krisengebiet um Deggendorf: erst nach Niederalteich, später nach Fischerdorf.

Das Interesse der Medien war gewaltig, das Hochwasser war das allumfassende Thema. Hat der Wirbel geholfen oder war er hinderlich?

Matthes: Da kommt der Arbeitgeber ins Spiel. Ich musste zwei Wochen freigestellt werden. Das Verständnis der Firma ist natürlich viel größer, wenn so ein Medienrummel herrscht. Es ging ums Helfen, ums Spenden, man bekam schlimme Bilder zu sehen.

Verde: Viel schwieriger ist es, für einen „normalen“ Unfall oder ein Unglück an den Bahngleisen freigestellt zu werden. Da murrt dann schon der eine oder andere.

Matthes: Aber das Hochwasser war eine Extremsituation. Da haben alle Verständnis gezeigt.

 

Ihr wart an Ort und Stelle. Hat sich die Lage in Niederbayern mit den Bildern im Fernsehen gedeckt – oder wurde übertrieben oder beschönigt?

Verde: Es war sehr nah dran an der Realität. Wer es genau wissen will, kann jederzeit unsere Bilder im Internet anschauen. Wir haben immer über unsere Lage informiert. Nicht weil wir den Medien misstrauen, sondern weil wir unsere Angehörigen informieren wollten.

Matthes: Meine Freundin war auch im Einsatz, allerdings an anderer Stelle als ich. Die war immer froh, etwas darüber zu wissen, wie es um uns gerade steht.

Bei 14 Tagen im Nonstop-Einsatz verliert man nicht nur jegliches Zeitgefühl, sondern auch den Bezug zum Leben außerhalb der Katastrophe.

Matthes: Ja, ich habe zum Beispiel am 11. Juni meinen 30. Geburtstag gefeiert – mitten in der Krisenregion. Das war mal ganz was anderes. Und das auch noch bei einem „Runden“. Aber meine Freundin ist abends ins Lager gekommen und wir haben ein bisschen gefeiert. Das war ein ganz tolles Gefühl.

 

Ihr trainiert den Ernstfall ständig. Welche Gefühle überwiegen, wenn man dann tatsächlich zeigen muss, was man kann?

Verde: Das ist eine schwierige Gratwanderung. Es ist halt immer gleich eine schlimme Katastrophe, wenn wir gerufen werden. Das liegt in der Natur der Sache – und ist so gesehen nicht gerade schön.

Matthes: Auf der anderen Seite ist es auch ein sehr gutes Gefühl, den Leuten helfen zu können und endlich das in der Praxis umzusetzen, was wir normalerweise nur üben.

 

Ist alles aktiviert worden, was Ihr zur Verfügung hattet?

Verde: Ja, tatsächlich alles. Unsere Garagen waren leer, alle Fahrzeuge waren im Einsatz, es hat kein Schlauch mehr herumgelegen. Das ist zwar einerseits erschreckend. Aber es beweist uns halt auch, dass es das Richtige ist, was wir ehrenamtlich leisten.

 

Wie reagierten die Leute im Hochwassergebiet denn auf Euch?

Verde: Das war ganz verschieden. Natürlich waren die meisten absolut froh über unser Erscheinen, weil ihnen endlich geholfen worden ist. Wir sind überall freundlich empfangen worden.

Matthes: Aber es waren auch schlimme Bilder, die wir zu sehen bekamen. Manchen Leuten war die Riesenangst um ihre Existenz ständig anzumerken. Sie waren teilweise gereizt und vollkommen außer Kontrolle – was natürlich völlig verständlich ist.

 

Welche Eindrücke bleiben nach einem solchen Einsatz hängen?

Verde: Das Schlimmste ist ja oft gar nicht das Materielle. Wenn du Alben, Hochzeitsbilder oder Kinderfotos auf den Müllbergen siehst, weißt du genau, wie schlimm und wie persönlich diese Katastrophe an den Menschen um dich herum nagt.

Matthes: Aber wenn wir abziehen, ist die Welt für die Betroffenen meist wieder in Ordnung. Weil der Keller leer, die Wohnung wieder betretbar ist. Sie sind glücklich, weil es uns gegeben hat – und davon zehren wir sehr lange.

 

Das Interview führte

Patrick Ermert