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Arznei aus Hopfen und Malz

31.05.2016 | Stand 02.12.2020, 19:44 Uhr

Der Chemiker Karl Kammhuber vom Hopfenforschungszentrum in Hüll ist Experte für Hopfeninhaltsstoffe. - Foto: Kraus

Von den einen als Gift verteufelt, von anderen als Heilmittel verklärt: alkoholischen Getränken wird vieles nachgesagt. Rotwein etwa steht bekanntlich in dem Ruf, dass ab und an ein Gläschen in Ehren gesund sein soll. Und auch dem Bier wird - in Maßen genossen - manche positive Wirkung auf das Wohlbefinden nachgesagt. Schon im tiefsten Mittelalter empfahl die Universalgelehrte Hildegard von Bingen, aus gesundheitlichen Gründen, dann und wann ein Bier zu trinken. In einer Zeit, in der das Brauen vor allem ein Geschäftsfeld der Klöster war, mag dieser Rat nicht überraschen. Aber auch in späteren Jahrhunderten kamen Wissenschaftler zu ähnlichen Erkenntnissen.

In der Brauszene wird beispielsweise gerne der britische Pharmakaloge Jonathan Pereira (1804-1853) zitiert, der Bier als "stärkendes Getränk für Invalide und Genesende" bezeichnet hat. Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit: Der berühmte Mediziner meinte damit nämlich beileibe nicht Bier im Allgemeinen, weil dies "trunken und stumpfsinnig" mache und vor allem von Menschen mit Diabetes oder Verdauungsstörungen gemieden werden sollte. Vielmehr riet der Pharmakologe seinen Zeitgenossen: Wenn Kranke schon unbedingt Bier trinken, dann wäre ein stark Gehopftes mit wenig Süße noch die gesündeste Wahl.

Ungeachtet dessen gilt Bier bis heute als Hausmittelchen für alle möglichen Gebrechen. Warm soll es beispielsweise Erkältungssymptome lindern. Aber Bier als Arznei? Vor einer solchen Verallgemeinerung würden sich Mediziner angesichts der Gefahren des Alkohols natürlich hüten. Sehr wohl aber gibt es Erkenntnisse der modernen Wissenschaft, was andere Inhaltsstoffe betrifft. Und demnach wohnt die Heilkraft des Volksgetränks vor allem dem Hopfen inne.

Ein Fachmann dafür ist der promovierte Chemiker Klaus Kammhuber vom Hopfenforschungszentrum in Hüll. "Der Hopfen bildet antibakteriell wirkende Harze, um seine Samen zu schützen", erklärt er den biologischen Hintergrund. Und ein Wirkstoff in diesem Harz sei besonders vielversprechenden: Xanthohumol soll die Ausbreitung von Krebszellen hemmen. Bekannt ist die Verbindung aus der Gruppe der Polyphenole seit rund 100 Jahren. Aber erst in den vergangenen beiden Jahrzehnten haben Wissenschaftler seine Wirkungen entdeckt: Der US-amerikanische Professor Fred Stevens habe damals entdeckt, dass Xanthohumol die Ausbreitung von Krebs hemme, berichtet Kammhuber. Und vor ein paar Jahren habe der Regensburger Professor Claus Hellerbrand erforscht, dass es auch gegen Leberkrankheiten helfe. Die bekannten positiven Wirkungen sind noch zahlreicher: Xanthohumol helfe bei Osteoporose, wirke sich positiv auf den Fett- und Kohlehydrat-Stoffwechsel aus und senke bei Diabetes den Blutzuckerspiegel. Und antimikrobiell sei es sowie: "Pilze, Bakterien, Viren - Xanthohumol wirkt gegen fast alles", sagt Kammhuber.

Bierliebhaber, die an dieser Stelle nun in Jubel ausbrechen möchten, müssen aber enttäuscht werden: "Im Bier ist kaum etwas drin", schränkt der Chemiker ein. Denn einerseits sei Xanthohumol nur begrenzt wasserlöslich, andererseits wandele sich der Stoff durch das Erhitzen beim Kochen der Bierwürze großteils ins wirkungslose Isoxanthohumol um. Am Ende seien in einer Halben zwar immerhin noch vier Milligramm des vielversprechenden Pflanzenstoffes enthalten. "Seriös kann man trotzdem nicht behaupten, dass Bier gesundheitsförderlich ist", stellt Kammhuber klar. Die negative Wirkung des Alkohols wiege schwerer als die positive Wirkung des Xanthohumols. Und selbst bei alkoholfreiem Bier dürfte der medizinische Nutzen fraglich sein: Um eine wirksame Menge des Inhaltsstoffes zu sich zu nehmen, müsse man am Tag gut 100 Liter Bier trinken, rechnet der Fachmann vor.

Kammhuber verweist daher eher auf die Nutzung des Xanthohumols in der Medizin oder in Nahrungsergänzungsmitteln: "In dieser Richtung ergeben sich wahrscheinlich eher Anwendungsmöglichkeiten." Doch der Weg dahin sei langwierig und teuer. "Es braucht zum Beispiel noch klinische Studien." Aber das alles ist nicht mehr Aufgabe der Hüller Hopfenforscher. Geforscht werde an der Anwendung in der Humanmedizin derzeit aber am Krebsforschungszentrum Heidelberg und an der Wiener Universität.

Warum die Pharmaindustrie das Naturtalent in den vergangenen Jahrzehnten noch nicht auf den Markt gebracht hat - nun, darüber kann man wohl nur spekulieren. Und so bleibt es vorerst dabei, den Hopfen weiter als Hausmittel anzuwenden. Aber auch da weiß der Hopfenexperte, dass die Dolden ihrem guten Ruf gerecht werden: "Die Alphasäuren zum Beispiel wirken antimikrobiell." Daher rühre ja auch die Verwendung des Hopfens, um Bier haltbar zu machen. Darüber hinaus wirken die ätherischen Öle beruhigend - was man sich zum Beispiel in Tees, Badezusätzen, Duftkissen zunutze machen kann. Oder ganz klassisch: mit einem Hopfenkranz im Zimmer.