Pfaffenhofen
"Wir haben alle dieselben Ängste"

Lyriker Neal Hall erklärt, wie wir den Rassismus überwinden und warum er sich nicht als Amerikaner sieht

04.05.2016 | Stand 02.12.2020, 19:52 Uhr

Der amerikanische Lyriker Neal Hall hat in den USA mit seinen gesellschaftskritischen Gedichten viele Preise gewonnen. Am Freitag liest er im Haus der Begegnung in Pfaffenhofen. - Foto: Steve Ladner

Pfaffenhofen (PK) Mit seinen Gedichten klagt er die Ungleichheit in der Gesellschaft an. Für seine klare, mächtige Sprache gewann er in Amerika zahlreiche Lyrikpreise. Seit dem Wochenende ist der amerikanische Lyriker Neal Hall auf Einladung der Stadt Pfaffenhofen in den Flaschlturm gezogen. Am Freitag liest er im Haus der Begegnung.

 

Herr Hall, Sie haben vor Kurzem Indien bereist, danach waren Sie in Rom. Wie gefällt es Ihnen im Pfaffenhofener Flaschlturm?

Neal Hall: Es ist wirklich sehr nett. Es gibt diese hölzerne Wendeltreppe, die nach oben in das gemütliche Wohnzimmer führt. Ein wundervoller Ort zum Schreiben. Pfaffenhofen gefällt mir. Ich bin selbst in einer kleinen Stadt in Ohio aufgewachsen. Die Piazza in Rom ist dem Hauptplatz gar nicht unähnlich.

 

Vielleicht ist die Piazza ein wenig imposanter?

Hall: Der Hauptplatz ist doch eigentlich ziemlich groß. Interessant finde ich, dass die Menschen, egal wie groß oder klein die Stadt, überall gleich sind. Zwar gibt es in den Ländern verschiedene kulturelle Nuancen, unter dem Strich ändert sich nichts. Das war eine Erkenntnis, die mich bei meinen Reisen sehr überrascht hat. Wir haben alle dieselben Glücksmomente, wir kämpfen dieselben Kämpfe, wir haben alle dieselben Ängste.

 

Wie können wir unsere Ängste überwinden?

Hall: Ich musste das selbst erst lernen. Heute habe ich zwar immer noch Ängste, aber sie halten mich nicht mehr davon ab, zu denken und weiterzumachen. Unsere Ängste nähren sich von der Politik und manchmal auch von den Medien. Wir müssen ihnen entgegentreten.

 

Zum Beispiel, indem wir darüber schreiben?

Hall: Ich schreibe, weil ich mich in die Dinge einfühlen kann - das können andere Menschen sein oder auch ein Blatt, das im Wind weht. Wenn es mich berührt und ich zu einer Einsicht gelange, wandle ich es in Worte um. Die Lyrik erlaubt es mir, wirklich und wahrhaftig zu fühlen. Diese Gefühle kann ich nur in Gedichten ausdrücken.

 

Ein großes Thema in Ihren Gedichten ist Rassismus. Sie nennen es das Gefühl, "bloß schwarz zu sein". Wie meinen Sie das?

Hall: Es geht mir nicht nur um das Schwarzsein - sondern um die Ungleichheit zwischen den Menschen an sich. Ich spreche über Rassismus, weil ich das persönlich nachvollziehen kann. Doch ich meine auch die Geschlechter- oder Homosexuellendiskriminierung.

 

Manche Menschen reagieren bestimmt heftig auf ihre Gedichte, in denen Sie die Welt der Weißen kritisieren...

Hall: Die Frage ist, warum reagieren Menschen manchmal so? Ist es vielleicht, weil sie sich schuldig fühlen? Weil sie Teil des Systems sind, das Menschen mit schwarzer Hautfarbe diskriminiert? Wir müssen uns bewusstwerden, dass jeder von uns Teil der Welt ist, die andere diskriminiert.

 

Aber die heutige Generation hat doch selbst gar nichts getan...

Hall: Doch sie ist Erbe dieser Welt und profitiert von den sozialen, politischen und wirtschaftlichen Vorteilen einer bestimmten Hautfarbe.

 

Was soll ein einzelner Mensch nun tun?

Hall: Einfach ein Mensch sein.

 

Wie meinen Sie das?

Hall: Jeder kann sein Leben in einer Weise leben, die die Gleichheit zwischen den Menschen fördert. Das Schlechte in der Welt kommt meist von einer kleinen Gruppe von Menschen. Doch die große Mehrheit sieht zu - weil sie eben davon profitiert. Um das zu ändern, muss sich jeder fragen: Was bin ich gewillt abzutreten, damit alle profitieren? Wir müssen verstehen, dass wir alle Brüder und Schwestern sind, egal ob schwarz oder weiß, Frau oder Mann, schwul oder heterosexuell, Deutscher oder universaler Weltbürger.

 

Sie sehen sich selbst nicht als Amerikaner?

Hall: Ich will mich nicht als Amerikaner sehen. Das limitiert mich zu sehr auf diese Eigenschaft. Dann kann ich zum Beispiel nicht mehr wertschätzen, wenn ein Deutscher deutsch oder ein Italiener italienisch ist.

 

Gibt es nicht Werte oder Moralvorstellungen in Amerika, auf die Sie stolz sind?

Hall: Ich glaube nicht an Moralvorstellungen - für mich sind das nur Regeln, die von anderen aufgestellt werden, um mich zu kontrollieren. Meistens befolgen diejenigen sogar nicht einmal selbst ihre Moral.

 

Sind Sie auch gegen Regeln?

Hall: Nein, ich bin nicht gegen Regeln. Aber ich bin für Harmonie und Respekt. Wenn wir das haben, brauchen wir keine Regeln. Dann tun wir automatisch das Richtige.

 

Das Gespräch führte

Desirée Brenner.