Zeitgemäß Rad fahren

01.12.2017 | Stand 02.12.2020, 17:08 Uhr

Zur Verkehrssituation in Neuburg:

Viel wurde in ordnerfüllenden Jahrzehnten immer wieder gesagt, geschrieben, diskutiert und skizziert, was die Gefahrenstellen und Mängel für Radfahrer und Fußgänger in Neuburg betrifft. Das ernüchternde Fazit ist, dass "ein zeitgemäßes Radfahren in sich wandelnden Städten" (Busy Streets Blog von Andrea Riedl) im Stadtrat und vom Oberbürgermeister nicht erwünscht und daher kaum gefördert wird. Wenn jeder Stadtpolitiker im Autostau zwei Kilometer quer durch Neuburg radeln würde, vom Zuhause zur Schule zum Kinderabholen, zur Dienststelle oder zum Einkaufen, würden sie die Sorgen und Nöte der nicht wahr- und ernstgenommenen Fahrradfahrer am eigenen Leibe spüren. Einmal im Jahr gemütlich zum Volksfest radeln, langt nicht zur kritischen Verkehrsanalyse.

"200 Jahre Fahrrad" - Serie von Freizeitradlern in Feierabendgruppen schön und gut, wenn auch wenige auf den Fotos Helm tragen, aber wo bleibt die andauernde Konfrontation mit den untragbaren Zuständen im Alltag? Wo bleiben die Antworten und der politische Wille, eine lebendige Stadt mit Aufenthaltsqualität und Miteinander aktiv zu gestalten? Kein Eiscafé und Straßencafé, wo die Gäste im Außenbereich nicht von Abgasen erstickt ihren Schwatz halten können.

Je mehr Bürger aus allen ökonomischen Schichten radelnd unterwegs sind, desto höher ist automatisch die Akzeptanz und die gegenseitige Rücksicht. Polizeipräsenz auf dem Fahrrad: Fehlanzeige. Das Trauerspiel beginnt mit einem Fahrradständer vor zum Beispiel dem Kinopalast. Dort zählte ich in den Herbstferien ein Dutzend wild abgestellte Räder. Ein Fahrradfahrer und Fußgänger ist auch Kunde, Bürger und Konsument, keine bemitleidenswerte Randerscheinung. Wir verbummeln unseren Tag nicht, sondern hetzen auch zu Terminen, nur eben sichtbar und ungeschützt! Der Präsident des ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrradclub) in Schweinfurt ist ein Unternehmer, der aus Überzeugung und Umweltbewusstsein mit dem Fahrrad pendelt und betont, dass er auch schnell und unter Zeitdruck stehend von A nach B muss. Die Auffassung, dass nur große Autos Respekt verdienen, vergiftet jegliche Chancen für eine "lebenswerte wachsende Stadt" (Lieblingsmantra von CSU, FW, teils SPD). Der Fahrzeuglenker ist ohne Hülle genauso schwach und mickrig wie der arme Unmotorisierte! Wahre Größe zeigt sich in couragiertem Handeln mit Mut zum freien öffentlichen Raum. Zugezogene junge Leute können es nicht fassen, dass, wo doch "heute in jeder Stadt eine Fußgängerzone state-of-the-art ist", in der Färberstraße immer noch der Bleifuß regiert (nachzulesen in den sozialen Medien). Ein harmloser Fußgänger wurde fast von einem Auto erfasst und bekam den Vogel gezeigt!

Es geht auch anders: Die Anzahl der Dozenten an der Volkshochschule Ingolstadt, die keinen Pkw nutzen, ist inzwischen so hoch, dass die Leitung Kursorte vergibt, die günstig an Bushaltestellen und Bahnhöfen liegen und die Radstrecke vom Wohnort zum Unterrichtsraum berücksichtigen. Erfolgsmodelle von Kommunen, die nicht minder verkehrsinfarktgefährdet waren, bitte studieren und auf die Bedürfnisse in Neuburg zuschneiden, nicht von vorn herein Entscheidungen für doch heutzutage simple Lösungen mit nachhaltigem Effekt abschmettern und in Schubladen vergraben. Erst wenn das Fahrrad durch Anreize und Umdenken unübersehbar im Stadtbild auftaucht, wo es bisher seiner Hauptfunktion beraubt lediglich für die "Lycraaktivseniorenstammtisch-Alpenquerung" taugt, dürfen sich die Stadtoberen brüsten und als Wunschtraum andere Städte motivieren - das ist unser aller Aufgabe!

Henriette Appel, Neuburg