Neuburg
Vergessene Schutzbunker aus dem Kalten Krieg

Mitten in Neuburg beherbergen zwei Tiefgaragen Relikte aus der Zeit der atomaren Aufrüstung

01.09.2014 | Stand 02.12.2020, 22:17 Uhr

 

Neuburg (DK) Wieviel Glück die Menschheit hatte, im Kalten Krieg an einem Atomkonflikt vorbeigeschrammt zu sein, wird einem manchmal mitten im Alltag bewusst. Dieser Schauder erfasst wahrscheinlich jeden, der genau hinschaut, wenn er mit seinem Wagen in die Neuburger Tiefgaragen am Schrannenplatz oder am Fürstgarten fährt – und sich wundert, warum die seitlichen Außentüren aus 40 Zentimeter dickem Metall bestehen.

Wo heute nur noch Autos parken, hätten im Katastrophenfall 2611 Menschen Schutz finden sollen. Nach den Berechnungen der Behörden hätten sie maximal 14 Tage lang im Untergrund ausharren können, spätestens dann wären die Wasservorräte aufgebraucht gewesen.

„Essen und Matratzen hätten die Menschen im Fall einer Belegung selbst mitbringen müssen“, erklärt Markus Richter vom Neuburger Ordnungsamt und sperrt eine seitliche Tür zu einem Schleusenraum auf. Durch ein milchiges Guckloch kann man nach draußen schauen. Die Stimme hallt zwischen den Betonwänden. „Was passiert, wenn das Essen ausgeht? Dann herrscht das Recht des Stärkeren“, sagt Richter nachdenklich und geht weiter in die Katakomben des Bunkers unter der Markthalle. Vorbei an vielen Rohrleitungen mit Druckventilen, grünen Campingklos mit schwarzen Fäkalienbeuteln und durch mehrere dicke Metalltüren hindurch gelangt er in einen Raum mit großen Sandbehältern – Kern der Filteranlage, durch die maximal 626 Menschen mit Luft versorgt werden sollten. „Bei voller Belegung ist im Schutzraum nach kurzer Zeit mit Temperaturen von circa 36 Grad zu rechnen“, heißt es in einer Dokumentation des Neuburger Stadtarchivs. „Wenn die Luftfilter ausfallen, ist alles aus“, sagt Richter, bevor er den zweiten Bunker am Fürstgarten ansteuert. Hier sollten immerhin 1985 Bürger Schutz finden. Die Wände der Kontrollräume sind voller Ventile, Rohre, Knöpfe und Hebel. Gasmasken verstauben in einem Regal. Gänsehaut verursacht auch die Aufzeichnung des Stadtarchivs: „Vorschriften, wie im Katastrophenfall zu verfahren ist, konkret, wer die Entscheidung trifft, wann die Räume in Anspruch zu nehmen sind und wer die Schleusen (nicht) passieren kann, wurden nie erlassen.“ Eins ist sicher: Platz wäre nicht mal für zehn Prozent der Neuburger gewesen.

„Die Mehrzweckanlagen sollen Schutz vor radioaktiver Strahlung, chemischen und biologischen Waffen, Trümmern, Druckwellen sowie Feuer und Hitze bieten“, heißt es in der Dokumentation des Stadtarchivs. Mit Ausnahme der Bauten aus dem Zweiten Weltkrieg böten die Räume keinen Schutz vor direkten Treffern mit konventionellen oder atomaren Waffen.

Die Geschichte der Bunker ist ein Spiegel der bundesdeutschen Sicherheitslage. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges untersagen die alliierten Besatzer zunächst jede Form von „nichtmilitärischen Schutzbauten jeglicher Art“. Doch die Bomben von Hiroshima und Nagasaki lassen auch diesen Grundsatz bröckeln. Im Sommer 1951, im Schatten der atomaren Aufrüstung im Kalten Krieg, erteilen die Westalliierten die Genehmigung zur „Wiederaufnahme ziviler Luftschutzmaßnahmen“. Zunächst modernisiert man alte Weltkriegsbunker. Zwischen 1969 und Mitte der 1980er Jahre werden mit finanzieller Förderung durch den Bund in Höhe von insgesamt 772 Millionen Deutsche Mark rund 1,4 Millionen Schutzplätze geschaffen, liest man in den Unterlagen des Stadtarchivs. Drei von hundert Bundesbürgern hätten damit einen Platz. In Neuburg wird man durch die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl am 26. April 1986 wachgerüttelt. Oberbürgermeister Hans-Günter Huniar lässt laut Stadtarchiv auf Anregung von Stadtrat Horst Gutjahr im Rahmen einer Übung die Umwandlung der Tiefgarage am Schrannenplatz in einen Schutzraum demonstrieren. Mit 18:9 Stimmen beschließen die Neuburger Volksvertreter im Mai 1986 den Bau der Anlage Fürstgarten. „In der sehr kontrovers geführten Diskussion wird drauf hingewiesen, dass von zahlreichen Experten der Sinn und Nutzen von Schutzraumeinrichtungen immer wieder bestätigt worden ist, und daher die Stadt jede Möglichkeit zur Schaffung weiterer Schutzplätze für die Neuburger Bevölkerung nutzen sollte“, notieren die Protokollanten. Die SPD lehnt den Bau dagegen strikt ab: Nach ihrer Auffassung seien derartige Einrichtungen zum Schutze der Bevölkerung vor ABC-Waffen oder Reaktorunfällen völlig ungeeignet und sinnlos. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion werden keine neuen Bunker mehr gefördert. Im Mai 2007 entscheidet die Innenministerkonferenz schließlich, das umfassende Schutzraumkonzept aufzugeben. Seit damals werden auch die Neuburger Bunker nicht mehr gewartet.