Neuburg
Freiheit statt Fesseln

Landkreis und Amtsgericht unterzeichnen Kooperationsvereinbarung – Pflegeheim-Mitarbeiter als Multiplikatoren

10.06.2013 | Stand 03.12.2020, 0:03 Uhr

Unterzeichnen eine Kooperationsvereinbarung zum „Werdenfelser Weg“: Sachgebietsleiter Christian Kutz (von links), Betreuungsrichter Georg Berger, Amtsgerichtsdirektorin Dorothea Deneke-Stoll und Landrat Roland Weigert - Foto: Stengel

Neuburg (pes) Eine neue Philosophie im Umgang mit Menschen in Pflegeheimen soll auch im Landkreis Fuß fassen: In den Einrichtungen soll es künftig verstärkt Alternativen zur Fixierung von verwirrten Menschen geben. Der „Werdenfelser Weg“, so heißt der Ansatz, wurde im Landkreis Garmisch-Partenkirchen zum erfolgreichen Modellversuch.

Jetzt sollen die Inhalte dieses Konzeptes auch in den Pflegeheimen von Neuburg-Schrobenhausen umgesetzt werden. Gestern unterzeichneten Amtsgerichtsdirektorin Dorothea Deneke-Stoll, Betreuungsrichter Georg Berger, Landrat Roland Weigert und Christian Kutz, der Leiter des Sachgebietes Senioren und Betreuung im Landratsamt, eine entsprechende Kooperationsvereinbarung zum „Gemeinsamen verantwortungsvollen Umgang mit freiheitsentziehenden Maßnahmen“. Sie tritt am 1. Juli in Kraft.

„Wir möchten, dass weniger in die Freiheit der Person eingreifende Methoden zur Anwendung kommen“, erklärte Dorothea Deneke-Stoll. Landrat Roland Weigert (FW) sprach von „einem guten Kooperationsgeist im Landkreis“. „Es geht darum, dass die Menschen so lange wie möglich mobil bleiben. Eine 100-prozentige Sicherheit kann dabei niemand geben“, fasste Georg Berger das Ansinnen zusammen. In betreuungsrichterlichen Genehmigungsverfahren würden daher speziell geschulte Pfleger eingesetzt. Diese prüfen mit den übrigen Beteiligten, inwieweit auf freiheitsentziehende Maßnahmen bei Einsatz adäquater Alternativen verzichtet werden kann und geben gegenüber dem Gericht eine Empfehlung ab. Zumal Fixierung nicht unbedingt ein Garant für weniger Stürze sei, so Berger. Denn dadurch würde der Muskelabbau gefördert, das Sturzrisiko steige. Freiheitsentziehende Maßnahmen könnten nur durch das Gericht angeordnet werden. In Garmisch-Partenkirchen habe sich laut Deneke-Stoll gezeigt, dass sich die Fallzahlen durch das neue Modell bis zur Hälfte reduzieren könnten. In Neuburg seien es zur Zeit etwa 250 Verfahren pro Jahr. Die jüngsten Klienten, die davon betroffen sind, seien laut Berger 65 Jahre alt.

Alternativen zu Bettgitter, Bauchgurt oder Mehrfachfixierung könnten laut Christian Kutz Knie- und Ellenbogenschützer, Polsterhosen, Walker sowie der Einsatz niedrigerer Betten sein. Die Finanzierung übernehme laut Kutz zum Teil die Krankenversicherung, aber auch die Einrichtungen selbst müssten entsprechende Vorkehrungen treffen. Außerdem bedürfe es pädagogischer Betreuungskonzepte. Auch wissenschaftliche Studien sähen die Fixierung auf dem Rückmarsch.

Um den „Werdenfelser Weg“ in elf Einrichtungen umsetzen zu können, sei man in Kontakt mit den Pflegeheimen getreten und habe Mitarbeiter aus den Einrichtungen geschult, wie der Landrat betonte. „Wir haben Interesse an einem selbstbestimmten Leben und einer guten Begleitung. Die Pflegekräfte sind dabei sehr offen.“ Den geschulten Mitarbeitern käme eine Multiplikatorenrolle zu. Der Verfahrenspfleger werde in Abstimmung mit den Pflegeeinrichtungen und den Angehörigen oder Betreuern alle denkbaren Alternativen der stationären Betreuung abklären und dem Gericht eine Empfehlung geben. Diese Abwägung könne auch ergeben, dass ein Restrisiko für Stürze zugunsten der Mobilität in Kauf zu nehmen ist.