Neuburg
Dem Leben eine Richtung geben

Die Caritas bietet Alkoholkranken in der Begegnungsstätte "Weiche" einen Ort der Toleranz

24.02.2017 | Stand 02.12.2020, 18:36 Uhr

Foto: DK

Neuburg (DK) Versteckt hinter hohen Bäumen liegt die "Weiche" in der Ingolstädter Straße. Die Begegnungsstätte für suchtkranke Menschen setzt voll auf Akzeptanz - hierher dürfen die Klienten auch betrunken kommen. Geboten wird ihnen ein geregelter Tagesablauf.

"Trinken ist halt mein Hobby", sagt Thomas L. (Name geändert). "Andere gehen zum Angeln oder Jagen." Der 53-jährige Neuburger ist eigentlich jeden Tag zu Besuch in der "Weiche". Ob er denn nicht aufhören wolle mit dem Alkohol? "Warum denn", fragt er zurück. "Keinen Bock."

Seit 30 Jahren schon trinkt er, die "Weiche" ist so etwas wie seine zweite Heimat. Tag ein Tag aus kommt er hierher. Und fühlt sich pudelwohl. "Hier sind alle willkommen", sagt Thomas L. Morgens kommt der Neuburger zu Fuß in die "Weiche". Hier kann er oft arbeiten, die Einrichtung bekommt regelmäßig Aufträge von regionalen Unternehmern. Für die Suchtkranken bedeutet das: eine feste Tagesstruktur, eine sinnstiftende Aufgabe. Wenn die Materialen abgeholt werden, ist Thomas L. als Beifahrer mit dabei. "Das mache ich schon seit Jahren", erzählt er. "Und das handwerkliche Arbeiten macht mir Spaß." Und dann ist Mittagszeit. Je nach Gericht kostet eine Mahlzeit zwischen 50 Cent und zwei Euro. In eben jener Mittagspause geht Thomas L. dann zur nahe gelegenen Tankstelle und holt sich ein Bier. Ein tägliches Ritual. In der Einrichtung dürfen die Klienten nicht trinken, aber sie dürfen betrunken sein. "Was ich in der Mittagspause mache, ist meine Privatsache", findet der 53-Jährige.

Und genau das ist auch das Konzept der "Weiche" in der Ingolstädter Straße. "Unsere Klienten dürfen selbst entscheiden, welchen Weg sie weitergehen. Wenn es mit Alkohol sein soll, dann tolerieren wir das", erklärt André Meyer, der die "Weiche" leitet. "Es geht darum, die Menschen so zu akzeptieren, wie sie sind." Etwa 15 Männer und Frauen kommen regelmäßig in die Caritas-Einrichtung. Manche von ihnen sind trockene Alkoholiker, die Mehrheit jedoch ist nach wie vor süchtig. "In vielen anderen Anlaufstellen müssen die Leute nüchtern sein. Aber die chronisch kranken Alkoholiker müssen manchmal alle zwei Stunden etwas trinken, sonst setzt der Entzug ein, der potenziell tödlich enden kann."

Kommen darf grundsätzlich jeder - nur Gewalt wird nicht toleriert. Wer weiter weg wohnt, wird von einem Fahrdienst auch abgeholt und wieder nach Hause gebracht. Man kennt sich in der "Weiche". Manchmal jedoch heißt es auch Abschied nehmen - die Sucht endet für viele Alkoholiker tödlich. "Wir wollen unsere Klienten begleiten, ihnen ein gesundes und menschenwürdiges Leben ermöglichen, wenn sie das wollen", erklärt Meyer. Im Gegensatz zu psychisch Erkrankten seien Suchtkranke weniger anerkannt, findet der Leiter der "Weiche". "In der Gesellschaft wird das eher so gesehen, dass diese Leute selbst schuld sind an ihrer Krankheit."

Dabei stehen in den meisten Fällen tragische Geschichten hinter einer Sucht. "Auslöser kann zum Beispiel der Tod eines Partners sein, der nicht verkraftet wird. Die Leute therapieren sich dann oft selbst, mit Alkohol oder Medikamenten." Bier oder Schnaps, um den Schmerz zu vergessen - das endet oft im totalen beruflichen und sozialen Abstieg. "Alkoholiker gibt es in allen Schichten, vom Studierten bis zum Förderschüler", sagt Meyer.

In der "Weiche" sollen die Weichen neu gestellt werden. "Die Arbeitstherapie kommt einer Erwerbstätigkeit einigermaßen nahe. Es ist den Leuten wichtig, Teil einer Produktionskette, eines Wertschöpfungsprozesses zu sein." Die Klienten sollen sich wohlfühlen, ihren Tag sinnvoll strukturieren und so zufriedener mit sich selbst sein.

Wer kreativ veranlagt ist, für den bietet Heike Michalke sogar eine Kunsttherapie an. "Vor allem Frauen machen hier mit", sagt die ausgebildete Ergotherapeutin. Mit verschiedenen Techniken und Farben entstanden je nach Lust und Laune zahlreiche Gemälde, die nun die Wände der "Weiche" zieren.

Die Caritas hilft ihren Klienten auch in Notlagen - vermittelt sie zur Schuldnerberatung, zur Gesundheitsberatung oder steht ihnen bei Schwierigkeiten mit Ämtern zur Seite. "Das ist einwandfrei hier", findet auch Thomas L. "Viele Leute hier kennt man schon seit Jahren." Für ihn jedenfalls gehört der tägliche Gang in die "Weiche" einfach dazu - denn hier wird er akzeptiert, wie er ist.