Neuburg
Blutiger Dünger für das "Pflänzchen"

Publikum des Neuburger Stadttheaters wagt Besuch im "kleinen Horrorladen"

23.10.2014 | Stand 02.12.2020, 22:05 Uhr

Jetzt zeigt das ehemals kleine Pflänzchen sein wahres Gesicht: Mit seinen Ausläufern fängt und verletzt es Namensgeberin Audrey (2.von rechts) tödlich - Foto: Hammerl

Neuburg (DK) Eine mörderisch-skurrile Geschichte, manchmal schrill inszeniert, mitunter übertrieben „typisch amerikanisch“ – wie man es sich hierzulande vorgestellt – doch insgesamt mit genügend leisen Tönen und viel Poesie begeistert „Der kleine Horrorladen“ das Neuburger Publikum im Stadttheater.

Woran es liegt, dass das Erfolgsmusical des Komponisten Alan Menken und des Librettisten Howard Ashman auch gut 30 Jahre nach der Uraufführung nichts von seinem Zauber verloren hat? Da sind vor allem so unterschiedliche Melodien wie das wunderschön romantische Duett „Jetzt hast du Seymour“ der beiden Hauptfiguren Seymour (Christopher Ryan) und Audrey (Nadine Kühn), unterstützt vom allgegenwärtigen Trio Chrystal (Kerstin Ried), Ronnette (Georgia Reh) und Chiffon (Nina Henrich), Audreys Traum „Im Grünen irgendwo“ von einer Vorstadtidylle einschließlich Häkelgardine auf dem Gästeklo oder Seymours Solo „Schicksal, welch eine Wendung“. Auf der anderen Seite das rockige „Zahnarzt“, mit dem sich Audreys brutaler Freund Orin (Michael Müller) vorstellt, dessen Berufskrankheit in einer „gewissen Freude an Schmerzen anderer“ liegt, oder fetzige Chorszenen.

Gefahr, kitschig zu werden, läuft die temporeiche Inszenierung zu keiner Zeit, dafür sorgt schon der rabenschwarze Humor, mit dem sich Audrey II, die zunächst kleine, harmlos erscheinende fleischfressende Pflanze, von Zeit zu Zeit meldet. „Gib’s mir“, fordert sie und lässt keinen Zweifel daran, dass sie die Fäden dieses mörderischen Spiels in der Hand hat. Sie ist es, die den tollpatschigen Seymour zum gefragten Interviewpartner der Medien, zum Juniorchef des dank Audrey II aufblühenden Blumenladens von Mr. Mushnik (Mario Zuber) macht und ihm plötzlich Chancen bei der menschlichen Audrey erwachsen lässt.

Christopher Ryan lässt seinen Seymour vorsichtig wachsen, an Selbstbewusstsein zulegen, aber im Herzen den gleichen bleiben – der unfreiwillige Held der Tragikomödie. Wie Seymour hat auch Audrey von Kindheit an keine Chance gehabt. Und doch hat sie ein reines Herz, ist ein guter Mensch, der sich entwickelt. Hier die böse Pflanze, die mit jedem Gramm Biomasse, das sie durch Fütterung mit Seymours Blut zulegt, bedrohlicher wird, dort zwei unbedarft-naive Menschenkinder, die innerlich wachsen – ein wunderschönes Märchen. Mit warnendem Hintergrund. „Don't feed the plants“, lautet die Warnung, die Botschaft des Musicals. Doch wer sind die mörderischen Pflanzen, die wir mit unserem Blut nähren, die uns Reichtum und Ansehen verschaffen, bis sie uns – größenmäßig wie sinnbildlich – über den Kopf wachsen und uns verzehren? Darüber lässt sich trefflich philosophieren. Im Theaterstück kommen sie als Außerirdische auf die Erde, die Pflanze fällt während einer Sonnenfinsternis sozusagen vom Himmel. Doch egal woher – das Böse ist mitten unter uns.

Trotzdem ist der Grundtenor heiter, schaffen Melodien, Slapsticks, die wunderlichen, karikierenden Charaktere eine insgesamt positive Stimmung, ist trotz des traurigen Ausgangs – anders als im Film, der ein nachproduziertes Happy End zeigt – mehr Lachen als Weinen angesagt. Gut ausgebildete Musicalstimmen, harmonisch von den Instrumentalisten unterstützt, ein stimmiges Bühnenbild, vor allem aber die spritzige Inszenierung garantieren einen kurzweiligen Theaterabend. Spaß macht natürlich Audrey II, die Pflanze, die zunächst als harmlose Handpuppe ihr Dasein beginnt, am Ende aber einen Großteil der Bühne für sich beansprucht. Ihr „Gib’s mir“ jedoch klingt viel zu hart im Vergleich zum subtilen „Feed me“ des Originals. Bleibt die Frage, ob immer alle Texte übersetzt werden müssen? Doch auch der deutschen Version des Frank Serr Showservice International gebührt das Prädikat „ausgezeichnete Unterhaltung“, wie der kräftige Applaus im Stadttheater bestätigt.