Neuburg
Asylbewerber sollen ins Obdachlosenheim

Betroffene wehren sich, doch die Stadt kann nicht helfen – Stadträtin Häring: "Reine Paragrafenreiterei"

16.01.2013 | Stand 03.12.2020, 0:36 Uhr

„Es gibt ganz schreckliche Verhältnisse“: Bernd Duschner (Mitte) und Brigitte Kreuzer (2.v.l.) vom humanitären Verein „Freundschaft mit Valjjevo“ mit Bewohnern der Neuburger Gemeinschaftsunterkunft. Duschner beklagt die kompletten Kürzungen des Taschengeldes. Familien mit Kindern müssen demnächst ausziehen und sollen in der Obdachlosenunterkunft der Stadt untergebracht werden. Dagegen wehren sich die Asylbewerber, die keinen für sie bezahlbaren Wohnraum finden. - Foto: Schanz

Neuburg (DK) In der Sammelunterkunft für Asylbewerber macht sich Angst breit. Drei Familien, die dort seit Jahren untergebracht sind, will die Regierung von Oberbayern vor die Türe setzen. Sie sollen ins Obdachlosenheim. Die Asylbewerber wehren sich.

Eine der Betroffenen ist Sarila Mehri. Die 19-Jährige stammt aus Afghanistan, spricht bereits gut Deutsch und lebt mit ihren Eltern und Geschwistern seit Jahren in der Sammelunterkunft. Nicht alle Familienmitglieder haben den gleichen rechtlichen Status. Vater, Bruder und Sarila dürfen bayernweit nach einer Wohnung suchen. Mutter und Schwestern nur innerhalb des Landkreises. Nun soll die Familie aus den zwei Zimmern in der Unterkunft ausziehen. Die Regierung von Oberbayern hat die Frist zum Verlassen der Unterkunft zwar bereits verlängert, am 13. Februar soll aber Schluss sein, es wird Platz für neue Asylbewerber gebraucht. Dann werden die Mehris „notfalls mit Hilfe der örtlichen Polizeiinspektion entfernt und mit einem Hausverbot belegt“, wie ein Sachbearbeiter der Regierung am 3. Januar schriftlich mitteilte.

Die 19-Jährige ist nicht untätig gewesen, hat eine Wohnung gesucht. Sie hat sich ihre Bemühungen sogar schriftlich bestätigen lassen. Erfolg hatte sie allerdings nicht. Nachdem ihr 18-jähriger Bruder seit Mitte November in Nürnberg wohnt, braucht sie eine Unterkunft für fünf Personen. Die darf maximal 105 Quadratmeter groß sein und warm 660 Euro kosten. Zu diesen Konditionen hat die junge Afghanin nichts gefunden. „Vier Frauen mit einem kranken Vater können nicht in einem Obdachlosenheim wohnen. Das ist unmöglich“, sagt die junge Frau, die einen intelligenten und ordentlichen Eindruck macht. Jetzt steht die Familie auf einer Warteliste im Rathaus.

Fünf Personen, die vier Kinder im Alter zwischen fünf und 16 Jahren: Das ist die Familie von Anifa Khaliki. Auch sie kommt aus Afghanistan. Auch sie soll mit ihren Kindern raus aus der Gemeinschaftsunterkunft. Eine Wohnung? Negativ. Dieser Familie droht ebenfalls das Obdachlosenheim der Stadt. Das sei für Kinder nicht geeignet, stellte Stadtkämmerer Markus Häckl erst am Dienstag im Finanzausschuss fest.

Dann gibt es noch eine bulgarische Familie. Der Vater suchte Oberbürgermeister Bernhard Gmehling gestern Vormittag in der Bürgersprechstunde mit der Bitte um Hilfe auf. Die Bulgaren sollen zum 30. Januar ausziehen. Gmehling musste passen. „Ich würde ihm gerne eine Wohnung geben, aber wir haben keine.“ Nachdem die Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft ihre Immobilien saniert, sucht die Stadt für ihre eigenen Mieter Ausweichunterkünfte. Ein Familie mit fünf Kindern im Alter von vier bis 16 Jahren im Obdachlosenheim unterzubringen, das ist nach Gmehlings Ansicht „nicht gut. Da ist vorprogrammiert, dass das schief geht“. Der OB will nun Sozialorganisationen wie Caritas und SKM um Hilfe bitten. Darüber hinaus möchte er bei der Regierung eine Fristverlängerung für die Betroffenen erwirken. Und nicht zuletzt hofft der Rathauschef auf die Solidarität der Landkreisgemeinden und des Landkreises. Letzterer verweist über Pressesprecher Thomas Assenbrunner auf die Regierung von Oberbayern als zuständige Behörde. Die konnte gestern noch nicht konkret Stellung beziehen, will sich laut Pressesprecherin Ines Schantz aber heute dazu äußern.

Die Bezirksregierung wird in den nächsten Tagen nicht nur von Neuburgs Oberbürgermeister hören, auch die FDP-Landtagsabgeordnete Brigitte Meyer aus dem schwäbischen Mering wird sich melden. Über die Neuburger Stadträtin Bettina Häring hat sie von den Problemen erfahren, nachdem die Asylpolitik zu ihren Arbeitsschwerpunkten zählt. Die liberale Landespolitikerin sieht die Zunahme an Asylsuchenden und erkennt die Grenzen, an die man bei der Unterbringung stößt. Sie verspricht aber: „Ich kümmere mich darum.“ Meyer möchte den Menschen, die als „Fehlbeleger“ bezeichnet werden, helfen, ordentlich aus der Gemeinschaftsunterkunft zu kommen. Notfalls müsse man über eine Fristverlängerung sprechen. Als frühere Bürgermeisterin der Gemeinde Merching weiß sie, wie schwierig es ist, kurzfristig eine Familie unterzubringen. Meyer appelliert an die Solidarität der Gemeinden: „Da muss man zusammenhelfen.“

Einer, der sich regelmäßig um die Asylbewerber kümmert, sie zu Ausflügen und Konzerten einlädt, Weihnachten mit ihnen feiert und sie mit Obst und Schulmaterial versorgt, ist der 61-jährige Pfaffenhofener Volkswirt Bernd Duschner vom Verein „Freundschaft mit Valjevo“. Die drohende Umquartierung der Familie lässt Duschner nicht ruhen. „Wir haben Leute da drin, die möchten, aber die dürfen nicht ausziehen.“ Ihn ärgert auch, dass Asylbewerber, deren Herkunft nicht bewiesen ist, dafür wegen mangelnder Mitwirkung bestraft werden. Ihnen wird das Taschengeld in Höhe von monatlich 130 Euro gekürzt. Zum Teil auf Null. Verbleiben noch 16,11 Euro für die Gesundheitspflege. Davon betroffen sind die 26-jährige Vicky Ribions aus Sierra Leone und der 44-jährige Julius Anih aus Nigeria. Er konnte zwar eine Geburtsurkunde vorlegen, die reichte aber nicht aus. „Man hat das Recht, das Taschengeld zu kürzen, aber doch nicht auf Null. Jemand auf 16 Euro zu kürzen, das ist doch bösartig. Da sind auch schwangere Frauen darunter. Manche sind seit acht, andere seit zehn Jahren ohne Taschengeld. Es gibt da ganz schreckliche Verhältnisse“, sagt Duschner. Die Neuburger FDP-Stadrätin Bettina Häring, die sich ebenfalls um Asylbewerber kümmert, sieht es ähnlich: „Das Ganze ist reine Paragrafenreiterei, und die Menschlichkeit kommt ganz zum Schluss.“